Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
bleibt.«
Finn blinzelt. »Das hab ich nicht mal im Entferntesten verstanden.«
»Ja«, sage ich. »Könntest du es ein bisschen einfacher ausdrücken?«
»Das war schon einfach ausgedrückt.«
»Es klingt für mich immer noch gefährlich«, sagt Finn. »Dabei könnte so viel schiefgehen.«
»Es gibt Risiken«, räumt James ein. »Aber Fortschritt ist immer gefährlich, oder? Meistens werden Mauern nicht Stein für Stein abgetragen. Jemand muss sie durchbrechen.«
Jemand muss sie durchbrechen. Ein schweres Gefühl senkt sich wie ein Tuch über den Wagen. Es klingt so Unheil verkündend.
Finn klopft mit den Fingerknöcheln an James’ Hinterkopf. »Dann ist es wohl gut, dass du so einen Dickkopf hast. Sonst tust du dir noch weh, wenn du gegen deine Mauern rennst.«
Ich verdrehe die Augen. Typisch Finn, er lockert die Stimmung immer auf.
»Aua!«, sagt James, aber er lächelt. Er schlägt blind nach Finn. »Du hast Glück, dass ich fahre.«
»Aber ich fahre nicht«, sage ich. Es ist so schön, James lächeln zu sehen, dass ich den Augenblick verlängern will. Ich will Finn an den Kopf klopfen, doch er weicht zurück und drückt sich tief in die Polster des Rücksitzes.
»Bleib mir vom Hals, Weib!«
Von James’ Lachen angespornt, öffne ich den Sicherheitsgurt und versuche es noch einmal. Finn packt meine Faust mitten im Schwung, und ich ziehe sie zurück, aber er lässt nicht los.
»Hey!« Ich knie mich auf den Beifahrersitz, um besseren Halt zu finden, und ziehe erneut, aber seine Hand hat sich jetzt fest um meine Faust geschlossen. »Lass mich los!«
»Nein, dann schlägst du mich!«
»Wie alt seid ihr eigentlich?«, fragt James.
Finn zieht plötzlich an meiner Hand, und mit einem Schrei falle ich auf den Rücksitz. Obwohl ich mich winde, gelingt es ihm, mich in den Schwitzkasten zu nehmen und mir das Haar zu zerstrubbeln. Ich ramme ihm den Ellbogen in den Magen, und ich höre James’ Gelächter zusammen mit Finns Ächzen.
»Du willst mehr?«, fragt Finn. »Du denkst, du kannst es mit mir aufnehmen, Marchetti?«
Von fern höre ich James’ Handy klingeln, aber ich bin zu sehr damit beschäftigt, Finns Finger von meinem Handgelenk zu lösen. Ich biege seinen kleinen Finger zurück, bis er aufjault und loslässt, und dann werfe ich mich auf ihn. Es ist nur gerecht, wenn ich ihm auch die Frisur ruiniere, aber er ist zu stark und ringt mich immer wieder nieder. Ich stoße ihm versehentlich den Ellbogen in die Rippen und bin schockiert, als er ein mädchenhaft kreischendes Kichern von sich gibt.
»Oh mein Gott«, sage ich atemlos. »Du bist kitzlig ?«
Er deutet mit dem Zeigefinger auf mich, plötzlich ganz ernst. »Du bleibst mir vom Leib!«
Ich grinse und gehe wieder auf ihn los, und wir ringen so heftig miteinander, dass ich zunächst kaum registriere, wie das Auto langsamer wird. Als ich es doch tue, suche ich im Rückspiegel James’ Blick und sehe, dass sein Gesicht aschfahl ist.
»James?«, sage ich. Finn versucht mich unter den Achseln zu kitzeln, und ich schlage seine Hände weg. »Hör auf. James?«
Der Wagen wird langsamer und langsamer, und James lenkt ihn auf den Seitenstreifen des Highways. Ich lehne mich nach vorn, und Finn setzt sich kerzengerade auf.
»Was ist los?«, frage ich.
James stellt mit einer Hand die Gangschaltung auf Parken und hält sich mit der anderen das Handy ans Ohr. »Ich bin noch da.«
Ich kann die Stimme des Anrufers am anderen Ende der Leitung hören – es ist ein blechernes, leises Geräusch, als wäre es von den Hunderten Kilometern Entfernung zum Zerreißen dünn gespannt. Doch ich verstehe keine Worte. Stattdessen beobachte ich James’ Gesicht. Es ist wie ein offenes Buch für mich, weil ich mir vor vielen Jahren die Zeit genommen habe, seine Sprache zu lernen. Was ich sehe, lässt meine Kehle trocken werden. Ich klettere auf den Beifahrersitz zurück. Finn ist vergessen.
»Ja«, sagt James. »Okay …«
Meine Hände beginnen zu kribbeln, wie immer, wenn ich richtig Angst habe. James hat mir einmal gesagt, dass es daran liegt, dass meine Blutgefäße enger werden und alles Blut im Körperkern zusammenfließt, für den Fall, dass ich fliehen oder kämpfen muss. Ich balle meine Hände zu Fäusten, um das Gefühl darin wieder zurückzubekommen.
Das Handy gleitet aus James’ Hand und landet klappernd auf dem Wagenboden. Er bewegt sich nicht, greift nicht danach, scheint nicht einmal zu bemerken, dass er es verloren hat. Seine Hand hängt leer neben
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