Zeitsplitter - Die Jägerin: Roman (German Edition)
nach der Pistole in meinem Gürtel zu greifen.
E INUNDZWANZIG
Marina
Finn und ich schlüpfen in eine Essnische, um auf die Cheeseburger zu warten, die wir zum Mitnehmen bestellt haben. Ich habe vorgeschlagen, dass wir uns eine Pizza aufs Zimmer kommen lassen sollten, aber James wollte kurz allein sein, um Vivianne anzurufen. Ich wollte nicht, dass sich das, was im Krankenhaus passiert ist, wiederholt, deshalb haben wir ihn allein gelassen, auf dem Bett sitzend, ein Kissen an die Brust gepresst, mit starrem Blick auf sein Handy.
»Sein ganzes Leben wird sich ändern«, sage ich. »Was wird er jetzt machen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Er ist ganz allein.«
»Er hat Viv und dich. Dich wird er immer haben.«
Es liegt so etwas wie Schärfe in seiner Stimme, und meine Gedanken verfinstern sich. Nicht, wenn ich in New York bin. Ich habe mein Handy noch nicht wieder angeschaltet, und wenn Mom und Dad merken, dass ich nicht nach Hause komme, werden sie wohl ohne mich abreisen – er nach Rom und sie nach New York. Aber den Umzug kann ich nicht in alle Ewigkeit aufschieben, wenn meine Mutter fest entschlossen ist zu gehen. Allein der Gedanke daran weckt in mir das Gefühl, dass das Fundament, auf dem ich stehe, Risse bekommt.
»Dich hat er auch«, sage ich.
»Ja, aber das ist nicht dasselbe.«
»Was meinst du damit?«
Er rutscht unruhig auf seinem Sitz hin und her. »Nichts.«
Ich greife mir die Schale mit den Zuckerpäckchen und beginne sie zu sortieren: Blau, Pink, Weiß. Blau, Pink, Weiß. »Weißt du, ich war immer neidisch auf James. Er hatte nur Nate, aber Nate hat ihn wirklich geliebt. Wusstest du, dass er seine erste Sitzung als Abgeordneter hat sausen lassen, um zu James’ Wissenschaftsmesse zu gehen? Er war immer für ihn da.«
Finn zieht mir die Zuckerschale aus den Händen und schiebt sie beiseite. »Deine Eltern sind Arschlöcher. Du hast sie nicht verdient, und sie haben dich definitiv nicht verdient.«
Ich starre ihn an, überrascht und erschrocken. »I-ich rede nicht von mir. Ich rede von James.«
»Ich weiß.« Er senkt seinen Blick auf die klebrige Tischplatte. »Ich dachte nur, das sollte mal gesagt werden.«
Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Es ist, als hätte er tief in mich hineingegriffen und meine schwärzesten und angsterfülltesten Gedanken aus dem Dreck ins Sonnenlicht geholt, sodass sie jeder sehen kann.
In einem Fast-Food-Restaurant.
Em
Ich ziehe die Pistole aus meinem Gürtel und prüfe die Sicherung. Als ich fertig bin, stecke ich die Schlüsselkarte ins Schloss. Es piepst leise, und Finn drückt die Tür auf. Ich trete als Erste ein, mit erhobener Waffe, und er folgt mir. Zusammen schleichen wir hinein, und ich höre, wie Finn hinter mir die Türkette vorlegt. Wir stehlen uns am Badezimmer vorbei, am Schrank, am Kühlschrank. Mit einem letzten Atemzug biege ich um die Ecke in den Wohnbereich des Zimmers.
Er ist leer.
Eine Tür öffnet sich hinter uns. Wie fahren herum, und ich verstecke instinktiv die Pistole hinter meinem Rücken.
»Hey, Leute«, sagt James, als er aus dem Badezimmer kommt. »Wo ist das Essen?«
Er weiß nicht, dass wir nicht sie sind. Der Kummer oder seine angeborene Unachtsamkeit Menschen gegenüber hat ihn für die Veränderungen blind gemacht, die die Zeit hinterlassen hat. Die Narben in Finns Gesicht, meine Hohlwangigkeit.
»Ich … sie haben geschlossen«, sage ich. Gott, warum lüge ich? Warum zögere ich diesen schrecklichen Augenblick noch länger hinaus? Ich sehe zu Finn, und ich erwarte, diesen Gedanken in seinem Gesicht widergespiegelt zu sehen, doch sein Blick ist weich und traurig geworden, während er James anschaut. Ich verstehe den Bann, den dieser Moment um ihn webt. Es ist schwer, sich den Doktor und die Grausamkeit seines Ehrgeizes in Erinnerung zu rufen, wenn man vor dem Jungen steht, der er war. Unser bester Freund. Unser James. Ich spüre es selbst jetzt noch, diese Verbundenheit.
»James …«, sage ich mit erstickter Stimme.
»Alles okay?«
»Wie kannst du mich das fragen?«, flüstere ich. Ich vergesse die Waffe hinter meinem Rücken und Finn, der nur ein paar Schritte entfernt steht. Ich vergesse alles außer dem süßen Jungen, den ich für so lange Zeit so sehr geliebt habe. »Nach dem, was dir gerade passiert ist, wie kannst du dir da Sorgen um mich machen?«
»Es ist dir doch auch passiert.« James tritt vor und schließt mich in seine Arme. Es geschieht so schnell, dass ich nicht weiß, wie ich es
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