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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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Treppe hinunter; im Salon schließlich blieb sie stehen und sagte: »Was ist das denn, Mr. Morley?« Ihr Finger zeigte auf die Autos und Trucks, die ich in die Centre Street skizziert hatte.
    »Automobile.«
    Sie wiederholte es, als wären es zwei Wörter: »Auto Mobile.«
    Dann nickte sie, offensichtlich war sie damit zufrieden. »Ja, selbst angetrieben. Das klingt großartig. Stammt der Begriff von Ihnen?« Ich sagte nein, ich hätte ihn irgendwo gehört, und wieder nickte sie und sagte: »Vielleicht in einem Buch von Jules Verne. Jedenfalls bin ich mir ziemlich sicher, dass wir eines Tages Automobile haben werden. Jedenfalls sind sie viel sauberer als Pferde.« Sie hatte bereits die Seite umgeblättert und betrachtete die Skizze der Trinity Church und des Broadway. Bevor sie etwas dazu sagen konnte, nahm ich ihr den Block aus der Hand und zeichnete sehr schnell die riesigen Gebäude ein, die eines Tages die kleine Kirche umgeben würden. Als ich ihn ihr wieder reichte, nickte sie zustimmend. »Ausgezeichnet. Wundervoll symbolisch. Das höchste Bauwerk Manhattans, das irgendwann einmal von sehr viel höheren umgeben sein wird. Ja, so könnte es sein. Aber Sie sind ein besserer Künstler als Architekt, Mr. Morley; um solch hohe Gebäude zu errichten, müssten die Mauern an den Fundamenten mindestens eine halbe Meile dick sein!« Sie lächelte und gab mir den Block zurück. »Wo soll ich mich hinsetzen?«
    Ich bat sie, am Fenster im Halbprofil Platz zu nehmen und das Haar zu lösen, und arbeitete mit einem sehr scharfen harten Stift, um die Linienführung so gut wie möglich hinzubekommen; keine unscharfen, unklaren Linien; der harte Stift erlaubte mir die feinsten Schattierungen und Schraffierungen.
    Es wurde gut. Ich hatte die Form des Gesichts, ich hatte die Augen und die Augenbrauen, die für mich schwierigsten Teile, und arbeitete sehr sorgfältig ihr Haar heraus: ich wollte es so darstellen, wie es wirklich war. Aber ich kam nur langsam vorwärts. Der junge Felix Grier kam nach Hause; ich holte meine Uhr heraus und sah, dass es bereits kurz vor fünf war. Er blieb ein paar Augenblicke neben mir stehen  – doch sagte er kein Wort. Als ich ihn anblickte, lächelte er und nickte höflich zustimmend, in seinen Augen aber sah ich Sorge; ich wusste, warum. Auch ich sorgte mich – dass Jake Pickering heimkommen und erneut eine Szene machen könnte. Es gehörte nicht zu den Aufgaben meiner Mission, Probleme heraufzubeschwören. Ich versuchte, schneller zu arbeiten, ohne dass die Qualität darunter litt; ich wollte, dass das Bild gut wurde. Es war unwahrscheinlich, dass er als Schreiber in der City Hall vor halb sechs oder sechs Uhr seine Arbeit beendete; nur noch wenige Minuten, dann würde ich fertig sein und das Haus verlassen.
    Es war natürlich mein Fehler, nicht an das Naheliegendste zu denken: dass ein Mann wie Jake Pickering, der seine Arbeit und seine Stellung als Schreiber verachtete, seinen Job in der City Hall sofort kündigen würde, nachdem er mit Carmody gesprochen hatte. Und nun – diesmal hatte ich ihn nicht kommen sehen – öffnete sich die Haustür, schloss sich wieder, und dort im Flur stand er. Aber diesmal schwankte er leicht und seine Krawatte hing schief. Sein Mantel stand offen, die Hände steckten in den Hosentaschen, und sein Zylinder, der weit hinten auf dem Kopf saß, hatte auf dem Deckel und entlang der Krempe getrockneten Straßenschmutz.
    Er hatte sich nicht mehr ganz in der Hand; er war betrunken, aber er wusste genau, was er sah. Julia und ich starrten ihn an, sein Blick wanderte von ihrem Gesicht zu den Linien auf dem Papier, zurück zu Julias Gesicht und wieder zu dem Blatt. In einigen Teilen der Welt gibt es Menschen, die nicht zulassen, dass Bilder von ihnen angefertigt werden, die glauben, dass ihnen dadurch etwas von ihrem Wesen oder ihrer Seele genommen wird. Und vielleicht hatte dieser Mann, ohne sich dessen bewusst zu sein oder es zu verstehen, instinktiv dieses Gefühl. Denn dass ich Julia zeichnete, brachte ihn so in Wut, als seien für ihn meine Augen, die Julias Gesicht abmaßen, und mein Stift, der es zu Papier brachte, Ausdruck tiefster Intimität. Was sie gewissermaßen auch waren. Jedenfalls konnte er es nicht ertragen; in ihm war mehr als Wut, da war nur noch Aufgewühltheit ohne jeden Verstand: ein Berseker. Als er seinen Blick von der Zeichnung hob und mich anblickte, sah ich, dass seine Augen sehr klein und rot waren und unerbittlich. Er hob seine Hand,

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