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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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›Stuyvesants Torheit‹, weil die Leute damals der Meinung gewesen seien, dass kein New Yorker Gentleman jemals ein Haus mit anderen als seinen Verwandten teilen würde. Er sprach gerne darüber, und ich war glücklich, einen kurzen Blick darauf geworfen zu haben.
    An der 23rd Street stieg ich aus und ging zum Gramercy Park neunzehn zurück. Tante Ada hörte mich die Tür öffnen und kam mir aus der Küche entgegen, ihre Hände und Unterarme waren voller Mehl. Ich fragte sie, ob Julia zu Hause sei, sie sagte nein, aber sie müsse jeden Moment kommen, und ich dankte ihr und ging auf mein Zimmer.
    Ich hatte einen langen Tag hinter mir, und ich war so weit gelaufen wie schon lange nicht mehr. Nun war ich froh, mich ausstrecken und mich ausruhen zu können, während ich auf sie wartete. Hin und wieder hörte ich draußen im Park Kinder schreien, ihre Stimmen klangen in der kalten Luft dünn und hell. Ich hörte das mittlerweile vertraute Klappern der Pferdehufe und das Klirren der Ketten am Zaumzeug. Ich hatte überhaupt keine Lust, New York zu verlassen; es gab in dieser seltsamen und zugleich vertrauten Stadt noch so viel zu sehen.
    Ich schlief natürlich ein und erwachte erst, als Julia zurückkehrte: Ich hörte ihre Stimme und die ihrer Tante. Ich stand schnell auf und warf einen Blick auf die Uhr; es war gerade halb fünf vorbei. Ich zog Schuhe und Mantel an und begab mich gemächlich nach unten. Sie standen in der Diele und blickten zu mir hoch; Julia war noch für den Ausgang gekleidet und zeigte der Tante gerade, was sie gekauft hatte.
    Wir begaben uns alle in den Salon; Julia nahm ihren Hut ab, und ich erzählte ihnen eine Geschichte, die ich gerade erfunden hatte. Ich war erstaunt über die Schuldgefühle, die sich bei mir einstellten, als ich in die Augen der beiden Frauen blickte, die mir vertrauensvoll zuhörten. Ich sei auf dem Postamt gewesen, sagte ich, um das Postfach aufzulösen, das ich für die Zeit gemietet hatte, in der ich keine feste Wohnung besaß. Aber im Fach habe ein wichtiger Brief gelegen. Mein Bruder sei krank gewesen, und während der Zeit seiner Genesung, fügte ich schnell hinzu – ich wollte keine Mitleidsbekundungen – brauchten sie mich dringend auf der Farm meines Vaters. Ich müsse deswegen abreisen, eigentlich sofort. Plötzlich fürchtete ich, dass sie mir Fragen zu den Arbeiten auf der Farm stellen würden, aber das taten sie natürlich nicht. Die beiden Frauen waren mitfühlend; sie sagten, es tue ihnen leid, dass ich sie verlassen müsse, und auch das schien nicht geheuchelt. Tante Ada nahm an, dass ich erst nach dem Abendessen fahren würde, aber ich sagte, ich müsse sofort aufbrechen, es sei eine lange Zugreise. Sie machte mir das Angebot, mir einen Teil der wöchentlichen Vorauszahlung zu erstatten, was ich jedoch ablehnte.
    Dann erinnerte sich Julia plötzlich: »Ach nein, wie schade! Mein Porträt!«
    Ich hatte es vollkommen vergessen. Ich stand vor ihr, suchte nach einer Entschuldigung und bemerkte schließlich, dass ich gar keine wollte; ich wollte sie viel lieber zeichnen. Es schien mir ein schönes Abschiedsgeschenk zu sein. Also nickte ich und schlug ihr vor, sie sofort zu zeichnen, wenn sie mir Modell sitzen würde – ich wollte Jake nicht dabeihaben. Julia eilte nach oben, um sich umzuziehen, und ich folgte ihr, um meinen Skizzenblock aus dem Mantel zu holen.
    Ich packte meine Reisetasche und sah mich im Zimmer um – es war lächerlich, aber ich vermisste es jetzt schon – und ging dann hinaus. In der einen Hand die Reisetasche, in der anderen den Block, schlug ich im Gehen das Deckblatt um, um rasch die Skizzen des Tages durchzusehen.
    Vor der Treppe stieß ich fast mit Julia zusammen, die vom dritten Stock heruntergekommen war; ihr Haar war frisch hochgesteckt. »Darf ich sie sehen?«, fragte sie und griff nach dem Skizzenblock. Ich hätte es ablehnen können, doch war ich neugierig auf ihre Kommentare und reichte ihn ihr. Sie ging langsam vor mir her und betrachtete die Blätter mit den Skizzen der Bauernhäuser in der Nähe des Dakota, die kaum Skizzen waren, eher Notizen, die nur für mich bestimmt waren. Doch sie äußerte sich nicht dazu, sondern blätterte zur Skizze des City Hall Park und der angrenzenden Straßen weiter.
    Ich hätte ihre Reaktion vorhersehen können, denn dies war ein Zeitalter, das absolut und beinahe unerschütterlich an den Fortschritt glaubte und Maschinen und ihr Leistungsvermögen richtiggehend verehrte. Wir gingen die

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