Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
seine Lippen teilten sich, wie ein Tier fletschte er die Zähne und zeigte wortlos auf mich; ich glaube, für seine Wut gab es keine Worte mehr. Dann fuhr der ausgestreckte Arm herum zu Julia. Sein Nacken war geschwollen und seine Stimme so belegt, dass sie kaum zu verstehen war. »Warte«, sagte er. »Rühr dich nicht von der Stelle. Dir werde ich es zeigen.« Und fast nüchtern, das Schwanken war plötzlich verschwunden, machte er auf dem Absatz kehrt und ging; einen Moment später wurde die Eingangstür zugeschlagen.
Ich würde das Porträt vollenden: warum auch nicht. Nachdem die Tür zugeknallt war, blickte ich zu Julia, mein Mund öffnete sich, doch alles, was dabei herauskam, war ein Schulterzucken. Es gab für mich nichts zu sagen, als nun ja, was soll man dazu sagen oder ähnlich Unangebrachtes. Julia zwang sich zu lächeln und zuckte ebenfalls mit den Schultern, ihr Gesicht aber war kreidebleich und blieb auch so. Ich war mir nicht sicher, warum: aus Furcht, Wut, Schock; ich wusste es nicht. Aber auch sie fühlte sich herausgefordert; während der restlichen Sitzung hielt sie ihr Kinn unbewusst kämpferisch nach vorne gestreckt.
Das Porträt gefiel ihr. Ich konnte es aus der Art und Weise schließen, wie sie es immer und immer wieder ansah; und ihr Gesicht bekam wieder etwas Farbe. Meine Zeichnung war sehr genau, sehr detailliert; sie hätte ein Holzschnitt in Leslie’s Illustrated Newspaper sein können. Aber es war auch ein gutes Porträt. Nicht nur sah es ihr sehr ähnlich – mit ein bisschen Zeit und Ehrgeiz war ich durchaus in der Lage etwas Derartiges zustande zu bringen –, es fing auch etwas von Julias Persönlichkeit ein, soweit ich das beurteilen konnte. Vielleicht brachte es etwas von Julias ›Seele‹ zum Ausdruck.
Jedenfalls fand ich es gut. Die anderen waren nach Hause gekommen; Byron Doverman traf ein, als ich gerade fertig den Stift weglegte, dann Maud Torrence; die beiden blieben stehen und bewunderten und lobten es, bevor sie nach oben gingen. Tante Ada kam aus der Küche, um zu rufen, dass das Abendessen in fünf Minuten auf dem Tisch stehen würde. Auch sie bewunderte das Porträt und bestand darauf, dass ich, da ich noch immer da war, zum Essen bleiben müsse. Und da ich nicht den Eindruck erwecken wollte, als liefe ich vor Jake davon – und ließe Julia mit ihm alleine –, willigte ich ein; der Schaden war, wenn überhaupt, bereits angerichtet. Ich spürte, dass ich Angst hatte, denn ich wusste nicht, was dieser Mann sich für eine Teufelei ausdenken würde, aber ich war auch neugierig darauf. Julia, die noch immer ihr Porträt bewunderte, blickte schließlich auf und bat mich, es zu signieren. Ich kramte in meiner Tasche nach dem Stift und überlegte, was ich schreiben sollte; ich konnte nicht einfach meinen Namen und sonst nichts darauf kritzeln. Dann dachte ich mir: wenn schon, denn schon und schrieb: ›Für Julia – in Liebe und Bewunderung‹, still fügte ich an, und zur Hölle mit dir, Jake, und signierte das Bild.
In all der Zeit, in der ich hier war, hatte ich kaum an Rube Prien, an Dr. Danziger, Oscar Rossoff, Colonel Esterhazy oder an das Projekt überhaupt gedacht; in meinem Geist waren sie weit weg, am dünnen, fernen Ende des Teleskops, winzig klein. Beim Abendessen aber wurden sie wieder real: Was würden sie von alldem halten, wenn ich ihnen Bericht erstattete. Dass ich mit unentschuldbarer Ungeschicklichkeit in Ereignisse eingegriffen und sie gestört hätte? Vielleicht, und wahrscheinlich hatten sie sogar recht; dennoch wusste ich nicht, wie ich es hätte vermeiden sollen. Die Gespräche bei Tisch drehten sich alle um Guiteau, dazwischen ein wenig um das Wetter; es interessierte mich nicht. Für mich war Guiteau wieder zu einem Namen aus einem alten Buch geworden; verurteilt, hingerichtet und längst vergessen, die Welt, auf die ich mich wieder vorbereitete, kannte noch kaum seinen Namen. Ich aß mechanisch, versuchte so auszusehen, als sei ich interessiert; wenn man mich fragte, antwortete ich. Aber als das Projekt und die daran beteiligten Leute in meinem Geist wieder lebendig wurden, begann ich, mich aus dieser Zeit und diesem Ort zurückzuziehen.
Doch ich wurde wieder hineingeworfen. Wir beendeten das Abendessen. Maud Torrence, die bereits fertig war, wartete höflich auf die anderen, bevor sie aufstand; Felix löffelte noch seinen Pudding; Byron hatte eine Zigarre gezückt und wartete darauf, aufstehen und sie anzünden zu können; alle
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