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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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halb gebückt – den linken Fuß auf der Oberkante des Schildes, den rechten in der Mulde, mit einer Hand stützten wir uns an der Fassade ab – zum Times Building, das vor uns im Norden lag; der Wind heulte, Schnee und Eisregen strichen über unsere Gesichter.
    Das Potter und das Times Building standen Wand an Wand; die beiden Wände dienten als tür- und fensterlose, doppelte Brandmauern, die ihren Zweck zu erfüllen schienen: In dem Gebäude vor uns gab es keinerlei Anzeichen von Feuer. Aber von unserem Gebäude, während wir hoch über der Straße weiterkrochen, stieg von unten ein heißer Luftstrom auf, der teilweise von dem V-förmigen Schild abgelenkt wurde, uns aber fast die Hände versengte, die sich über die obere Kante des Schildes entlangtasteten. Julia, durch ihre vielen Röcke behindert, kam langsamer voran als ich; ich musste öfter auf sie warten und wurde mir immer wieder des ganzen Geschehens um mich herum bewusst. Feuerglocken erschallten unter uns. Als ich durch den Schleier des fallenden Schnees hinunterblickte, blickte ich direkt in den Funken sprühenden Schornstein eines Feuerwehrwagens. Ich sah Feuerwehrmänner mit Leitern, andere hielten messingbeschlagene Schläuche, die dicke weiße Wasserströme in das brennende Gebäude schickten, ihre schwarzen Gummimäntel wurden dabei weiß von Reif. Dazwischen Polizisten mit Seilen, die die Leute auf der Straße und den Wegen hinter der Park Row zurückhielten. Die Menge, die am Rande des Parks stand, war mittlerweile sehr angewachsen, von hier oben sah sie wie eine kompakte schwarze Masse aus. Zahlreiche gegen den Schnee aufgespannte Schirme waren zu sehen, seltsamerweise erinnerten sie mich daran, dass ich mich in sehr großer Höhe befand. Mein Blick glitt von der Menge über den Park zur Chambers Street, wo aus Westen ein schwarzer, einspänniger Krankenwagen angefahren kam, an den Seitentüren befand sich ein weißes Kreuz. Ich glaubte, seine Glocke zu hören, und sah den Kutscher, der sich weit vorbeugte und mit der Peitsche auf das galoppierende Pferd einschlug; dann verschwand der Wagen hinter dem Gerichtsgebäude.
    Nur ein oder zwei Sekunden dauerte es, das alles wahrzunehmen; Julia war kaum einen Meter vorwärtsgekommen. Ich schaute nach unten und nach hinten, bevor ich ihr folgte: Die Flammen schlugen hoch, aus jedem Fenster des ersten und aus manchen des zweiten Stocks stieg schwarzer Rauch auf. Und auf dem Sims eines Fensters im dritten Stock standen zusammengekauert der Mann und die beiden Frauen, die uns im Gang gefolgt waren. Sein ausgestreckter Arm hielt die beiden davon ab, ebenfalls auf das Schild zu steigen; er wusste, dass es sich unter dem zusätzlichen Gewicht unweigerlich lösen würde. Er sah meinen Blick, gestikulierte wild und drängte mich weiter.
    Ich krabbelte weiter, versuchte mich zu beeilen, mein Fuß stieß an ein Unterstützungsdrahtseil, ich hörte es sirren und reißen, hörte das Schild ächzen und spürte das Zittern, das es durchlief. Im selben Augenblick schrie eine Frau auf, ich dachte, es sei Julia. Aber der Schrei kam von oben; als ich hochblickte, sah ich die Spitzen eines Schuhpaares über einer Fensterbank. Ich lehnte mich zurück und sah hoch; eine Frau stand dort, ihre Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen – unter ihrem Fenster befand sich kein Schild.
    Plötzlich hielt Julia an, kauerte sich am Ende des Schildes in die Mulde und verharrte dort reglos. Ich sah nach vorn. Die Stockwerke des Times Building waren höher als unsere, sodass das Schild unter dessen dritten Stock etwas über unserem hing. Es war kurz, ging nur an zwei Fenstern vorbei, auf schwarzem Untergrund waren die weißen Lettern zu lesen: J. Walter Thompson, Werbeagentur. Zwischen beiden Schildern war ein fünfzig Zentimeter breiter Spalt; Julia kauerte am Ende unseres Schildes, starr und unfähig, über den Zwischenraum zu steigen.
    Unser Schild begann zu vibrieren, ich drehte mich um: Eine der Frauen, in ihrem Gesicht wilde Panik, hatte ihren Fuß daraufgesetzt und war dabei, aufzusteigen. Wenn sie das täte, würde sich das Schild losreißen und hinunterfallen. Auch Julia hatte sich nun umgedreht und verstand, was hier vor sich ging. Plötzlich erhob sie sich und – ich war mir sicher, ihre Augen waren fest geschlossen – machte einen großen Schritt über den Spalt. Ihr Fuß stieß an die Mauer des Times Building und schlitterte dann in die Vertiefung zwischen Mauer und Schild. Dann warf sie ihren ganzen Körper

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