Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
auch, dass der Boden unter unseren Füßen heiß war.
Ich griff nach dem Türknauf der Tür neben uns, die in eines der Büros an der Park-Row-Seite führte; er ließ sich nicht drehen. Und so rannten wir wieder den Gang entlang, vorbei an einer Reihe von Türen, ganz nach hinten, wo eine Tür weit offen stand. The New-York Observer lasen wir, als wir in einen großen Raum mit Rollschränken, Holztischen und Aktenschränken stürzten. Ein Fenster war geöffnet, das grüne Rouleau schlug gegen den Fensterrahmen; ich stürzte mit Julia darauf zu. Wenn es für uns einen Weg aus diesem Gebäude gab, dann durch dieses Fenster; ich zitterte vor Angst. Denn ich kannte die Fassade des Hauses. Es gab keine breiten Simse, die das gesamte Gebäude umzogen, nur Fensterbänke, und wir waren im dritten Stock; wir konnten nicht springen.
Auf der Fensterbank waren Fußspuren im frisch gefallenen Schnee: War bereits jemand hinausgeklettert und gesprungen? Ich sah nach draußen; niemand lag unten auf dem Gehweg. Aber ich sah die Menge, die sich an der Ostseite des Postamts, an der Straßenecke gegenüber und direkt vis-à-vis im City Hall Park versammelte. Die Menge wuchs an; ich sah Leute, die durch den Park gelaufen kamen. Unmittelbar unter uns auf der Straße war der erste Feuerwehrwagen angekommen, zwei Feuerwehrleute rannten mit dem Schlauch zu einem Hydranten, ein anderer führte die Pferde weg. Glocken läuteten, und in der Park Row erschien ein weiterer Feuerwehrwagen. Weißer Dampf stieg aus dem hohen Messingzylinder hinter dem Kutscher auf, ein Zweiergespann weißer Pferde preschte heran, die Mähnen flogen, die Hufe schlugen Funken. Und weit hinter dem Park, auf dem Broadway, legte sich ein schwerer, von vier grauen Pferden gezogener Leiterwagen in die enge Kurve zur Mail Street.
Das alles sah ich im Bruchteil einer Sekunde; dann betrachtete ich wieder die Fensterbank und sah das Schild, das ich von der Straße aus gelesen hatte, The New-York Observer, das sich direkt unter dem Fenster befand. An der unteren Kante war es an der Mauer befestigt, oben aber stand es etwa dreißig Zentimeter ab und hing an verrosteten Drahtseilen. Ich hatte keine Vorstellung, ob es unser Gewicht aushalten konnte; dafür war es ganz bestimmt nicht ausgelegt. Es konnte vielleicht Julias Gewicht aushalten. Sie musste als Erste hinaus, bevor mein Gewicht das Schild lockerte oder ganz abriss. »Hinaus, Julia!«, sagte ich, »auf das Schild! Und klettere zum Times Building!« Aber sie schüttelte den Kopf. Ich verstand, dass es ihr nicht möglich war, alleine hinauszusteigen und hinüberzuklettern – es gibt Menschen, deren Höhenangst übermächtig ist. Ich hatte die Bürotür hinter uns zugeworfen, um das Feuer abzuhalten; als ich mich nun umdrehte, sah ich schwarzen Rauch unter der Tür hervorquellen.
Jetzt gab es kein Besinnen mehr. Ich trat auf die Fensterbank hinaus, duckte mich, setzte meinen linken Fuß auf die obere Kante des überhängenden Schildes und verlagerte langsam mein Gewicht. Es hielt. Mit beiden Händen hielt ich mich an der Fensterbank fest und setzte den rechten Fuß in die Mulde zwischen dem Schild und der Mauer des Gebäudes. Langsam stand ich auf, ließ das Sims los und stand mit meinem ganzen Gewicht auf dem Schild. Der Wind trieb graupeligen Schnee in mein Gesicht und meine Augen, und trotz der Furcht, dass das Schild sich losreißen und ich fallen könnte, war ich froh über meine Pelzkappe und den Mantel. Das Schild knarrte, hielt aber. Ich drehte mich zum offenen Fenster um. Wie versteinert sah Julia mich von dort an, und bevor sie sich abwenden konnte, schnellte meine Hand vor; ich packte ihr Handgelenk und zog sie entschlossen zu mir her, sodass sie sich mit einem Knie auf der Fensterbank abstützen musste, um nicht hinausgezogen zu werden. Ich ließ nicht nach, sondern zog sie weiter, und nun musste sie auch das zweite Knie nachziehen, damit sie nicht hinausfiel; und weiter, weiter zog ich, sie stieß nun kleine Angstschreie aus. Folgsam schwang sie ihre Beine über den Vorsprung, und dann war sie draußen und stand und kauerte sich vor mir in den Zwischenraum von der Mauer und dem The New-York Observer -Schild, eine Hand schützend vor den Augen, um den wirbelnden Schnee abzuhalten. In dem Drahtseil vor Julia sah ich einen Knick, der sich unter der Belastung des Gewichts spannte, und schrie ihr zu: »Nicht hinunterschauen! Schau nicht hinunter! Einfach weitergehen!« Ich schob sie vorwärts, wir kletterten
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