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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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Männer zweifellos den Flammen zum Opfer gefallen, bevor Hilfe eingetroffen wäre.
    Dieser Teil des Berichts ist vollkommen richtig. Es war ein schöner Anblick, als der Junge das Seil losließ, es an die Hauswand fliegen und dort ein paar Schritt über der Erde hängen zu sehen und dann den ersten der Männer, der es ergriff und sich daran hängte, ohne dass es riss. Die beiden anderen behielten kühlen Kopf, denn sie warteten, bis der Mann vor ihnen auf dem Boden angelangt war. Aber alle glitten viel zu schnell herab und verbrannten sich die Hände. Und wir bejubelten Wright, als er vom Mast stieg. Ich entnahm meiner Brieftasche einen Zehn-Dollar-Yellowback und reichte ihn ihm, ein paar andere gaben ihm ebenfalls Geld, einer von ihnen sogar ein Goldstück. Die drei geretteten Männer kamen zu uns herüber, schüttelten dem Jungen die Hand und baten ihn mitzukommen; ich bin mir sicher, dass auch sie ihm in irgendeiner Form ihren Dank abstatteten, was er wahrhaftig verdient hatte.
    Hier ist eine stark verkleinerte Seite (s. nächste Seite) aus Frank Leslie’s Illustrated Newspaper vom 11. Februar 1882 abgebildet, die Charles Wright oben auf dem Mast zeigt.
    Julia und ich drängten uns durch die Menge, die sich auf der Beekman Street versammelt hatte, als plötzlich alle wie gebannt in eine Richtung schauten. Vor uns, auf der anderen Seite der Straße, stand das Holzgerüst eines großen neuen, noch nicht vollendeten Steingebäudes in Flammen; das Feuer war über die Straße gesprungen. Die Fassade des Hauses endete in zwei Türmen, die höher als alles andere in der Umgebung waren, und nun schossen die Flammen an dem Gerüst entlang auf diese Türme zu. Dort erfassten sie die Fensterrahmen, in die noch keine Glasscheiben eingesetzt waren, und fraßen sich weiter vor zur Traufe, zu den Giebeln und verzierten Geländern oben am Dach. Es war ein überraschendes und seltsames Spektakel: brennende Ringe, Quadrate, Kreise und die parallelen Linien des Geländers; es glich einem riesigen Feuerwerk zum 4. Juli, das hoch oben in der Luft durch das Schneetreiben hindurch zu sehen war. Ich glaube fast, wir alle wandten uns diesem sensationellen Anblick zu, um uns von dem, was wir bislang schon an Elend hatten sehen müssen, abzulenken.

    Während wir noch staunten, war eine junge Frau auf ein Fenstersims im vierten Stock hinausgeklettert; als ich sie erblickte, wunderte ich mich, dass sie sich die ganze Zeit über im Gebäude aufgehalten hatte; wahrscheinlich war sie von einer Seite des brennenden Gebäudes zur anderen gelaufen, bis sie diesen Raum gefunden hatte, der noch nicht in Flammen stand. Unmittelbar über ihr schlugen die Flammen aus dem Fenster des fünften Stocks; als würden sie durch eine unsichtbare Kraft herausgezogen, schossen wie orangefarbene Zungen ein Stück über die Straße und bildeten über der Frau eine wabernde, lodernde Kanzel. Dennoch war sie nicht in Panik geraten; sie schloss hinter sich sorgfältig das Fenster. Dann stellte sie sich hin, hob die Arme und stützte sie links und rechts gegen das Mauerwerk der Fensteröffnung, um das Gleichgewicht zu halten. Es war eine erstaunlich ruhige Haltung. So blieb sie stehen, sie schrie nicht, kreischte nicht, blickte nur auf uns herab und wartete. Sie musste gewusst haben, dass es kein Zurück mehr für sie gab: dass dieses Fenster ihre letzte Chance war und dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis das Feuer hinter ihr durch die Fensterscheibe brach.
    Aber nichts wurde zu ihrer Rettung unternommen; kein Feuerwehrmann kam und brachte eine Leiter mit. Ich nehme an, sie dachten, und daraus konnte man ihnen keinen Vorwurf machen, dass beim jetzigen Stand des Feuers niemand mehr an den Fenstern auftauchen würde. Die Frau in ihrem langen schwarzen Kleid wartete immer noch – mit ausgestreckten Armen, die Hände an der Fensteröffnung, die sie umrahmte; um ihren Hals flatterte ein weißer Schal. Plötzlich brach hinter ihr das Glas, ein dicker Schwall schwarzen Rauches füllte das Fenster, bahnte sich einen Weg nach draußen und umhüllte sie vollständig. Eine Frau neben uns schrie auf, die Menge wurde unruhig. Weiter unten rief ein Mann wütend nach einer Leiter. Auf der Beekman Street, direkt vor uns, rannte ein Polizist, so schnell er konnte, vorbei.
    Hinter dem schwarzen Rauch, der sich über dem Sims wölbte, waren keine Flammen zu sehen; wir alle – jeder Einzelne, da bin ich mir ganz sicher – hielten den Atem an: Würde sie noch zu sehen sein,

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