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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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speichern, war sie darüber sehr viel mehr überrascht.
    Ich glaube, der Fernsehapparat und das, was ich ihr darüber erzählte, verwirrten sie so sehr, dass sie anfangs nicht sicher war, ob er ihr gefiel. Aber ich schob ihr einen Stuhl hin, langsam setzte sie sich, und die Verwirrung wich einer Faszination, die sie gefangen nahm wie ein kleines Kind. Mit offenem Mund verfolgte sie jede Bewegung und jeden Ton, Soap-Operas wie Werbeblöcke, sie saß aufrecht und reglos auf dem Stuhl und vergaß sogar, sich zurückzulehnen. Und als ich ihr zeigte, dass man mit einer Drehung des Knopfes das Bild ändern konnte, wechselte sie in Zehn-Sekunden-Abständen die Programme, von Serie zu Unterhaltungsshow, zu alten Filmen, zu Julia Child, und ich musste ihr auf die Schulter tippen, damit sie sich von dem Bildschirm abwandte und mir zuhörte. »Ich werde für eine halbe Stunde weggehen. Ist das in Ordnung?« Sie nickte nur, und ihr Kopf wanderte wieder zum Bildschirm zurück.
    Im Schlafzimmer zog ich Jeans, ein Sporthemd, einen Sweater, Mokassins und einen kurzen Trenchcoat an. Sie blickte auf, als ich wieder das Wohnzimmer betrat, und fragte: »Ist das die Art, wie sich Männer hier kleiden?« Ich bejahte, dies sei eine der Arten, und sie nickte, und ihr Kopf wandte sich wieder einer faszinierenden Allstate-Insurance-Werbung zu.
    Ich bezweifle, dass sie bemerkte, wie lange ich fort war; es war fast eine Dreiviertelstunde. Denn als ich die Wohnung wieder betrat, hatte sie sich zwar zurückgelehnt, starrte aber noch immer auf den Fernsehapparat: Es lief ein alter Film, eine Komödie aus den Vierzigern, die für sie zu fünfundneunzig Prozent unverständlich sein musste. Aber die Bilder bewegten sich, es wurde gesprochen, und das reichte fürs Erste völlig.
    Aus den vielen Geschehnissen, die sich meinem Gedächtnis fest einprägten, war das Nächste noch beeindruckender als Julias hypnotisierte Faszination durch das Fernsehen. Ich musste das Gerät ausschalten, um sie davon loszueisen. »O nein, bitte noch nicht!«, entfuhr es ihr, als das Bild zusammenschrumpfte und der Bildschirm schwarz wurde.
    Ich lachte. »Julia, es gibt noch andere Dinge zu sehen! Du kannst später wieder fernsehen.«
    Sie nickte, erhob sich widerstrebend, ihr Blick ging zurück zum Gerät, und sagte: »Ein Theater zu Hause – sechs Theater! Ein Wunder. Wie kannst du es aushalten, nicht zu schauen?«
    »Manche können es auch nicht. Aber ich glaube nicht, dass du zu ihnen gehörst. Es ist wirklich nicht gut, Julia, die meisten Programme sind es nicht wert, dass man sie anschaut.« Aber natürlich konnte sie das nicht beurteilen, noch nicht. Ich hatte die vier oder fünf Pakete, die ich mitgebracht hatte, auf den Diwan gelegt, häufte sie nun übereinander und drückte sie ihr in die Hand. »Ich glaube, die solltest du mal probieren, Julia. Du kannst dich in meinem Zimmer umziehen.«
    »Was ist das, Si? Kleider? Moderne Kleider?«
    »Ja.« Sie zögerte, freundlich sagte ich: »Die Leute werden sonst nicht aufhören, dich immerzu anzustarren, Julia.« Und sie lächelte und nickte zustimmend. »Verzeih, wenn ich darüber rede, aber ich muss es dir erklären: Ich vermute, du kannst die Unterwäsche, die du trägst, anbehalten, aber wenn du Probleme damit haben solltest, dann lass es mich wissen.« Ich hatte Schwierigkeiten, ernst zu bleiben. »In den Paketen befinden sich eine Bluse, ein Rock, Unterrock und ein Sweater. Und Schuhe und Strümpfe. Zieh sie einfach an. Für die Strümpfe habe ich einen Strumpfhalter gekauft, du wirst ihn sicherlich erkennen. Wenn etwas nicht passt, gehen wir in ein Geschäft und tauschen es um. Okay?«
    »Okay.« Sie nickte schüchtern und verschwand in mein Zimmer. Ich öffnete das letzte Paket und legte den Mantel, den ich ihr gekauft hatte, als eine Art Überraschung auf die Rücklehne des Diwans. Er war braun, besaß breite Revers, einen tief angesetzten Kragen und große Perlmuttknöpfe. All diese Dinge waren nicht billig gewesen, aber das kümmerte mich nicht.
    Julia blieb länger verschwunden, als ich gedacht hatte; und da die Türen so dünn waren, wie sie heute sind, was Julia sicherlich nicht bewusst war, hörte ich all ihre kleinen Ausrufe der Überraschung und gelegentlichen Verwirrung. Dann hörte ich in schockiertem Tonfall ein »Oh!«, und das nächste Bild meiner Erinnerungen zeigt Julia, die nach einer langen Weile, die auf das »Oh!« folgte, zögernd aus dem Schlafzimmer trat und vor der Tür stehen blieb.

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