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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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altertümlichen, flachen, mit Blumen besetzten Hut auf dem Kopf, der unter dem Kinn in einer Schleife mündete, brach es erneut aus mir heraus. Ich wollte sie nicht beleidigen und war froh, dass sie nicht wütend zu sein schien; nur, sie sah plötzlich so modern aus, dass ich dummerweise annahm, sie wisse, wie gut sie aussah. Aber natürlich war ihr die neue Kleidung vollkommen fremd. Sie konnte sie nicht beurteilen. Für Julia passte der alte Hut wunderbar zu diesen fremdartigen neuen Kleidern.
    Als ich ihr jedoch sagte, der Hut sehe nicht gut dazu aus, verstand sie sofort, was ich damit sagen wollte, auch wenn sie vorher nicht darüber nachgedacht hatte. Sie löste die Bänder und setzte den Hut ab. Viele Frauen gingen ohne Kopfbedeckung auf die Straße, sagte ich ihr, vor allem, wenn sie, wie sie, langes Haar hatten. Sie war überrascht und blickte mich zweifelnd an, und ich meinte, wenn es sie störe, dann könnten wir ihr einen neuen Hut kaufen. Dann legte ich ihr meine Hände auf die Schultern, hielt sie auf Armlänge von mir entfernt, sah sie fest an und sagte ihr, was ich empfand. »Julia, glaub mir: Wenn wir jetzt das Haus verlassen und uns unter die unzähligen Menschen New Yorks mischen, wirst du eine der bestaussehenden Frauen von ihnen sein. Das schwöre ich dir.« Sie erkannte, dass ich es ernst meinte, und ich konnte beobachten, wie ihre Augen vor Vergnügen zu funkeln begannen und ihr Kinn sich hob. Dann ging sie etwas wackelig – die Absätze waren fast zwei Zentimeter höher und viel schmaler als die, die sie gewohnt war – in mein Zimmer zurück. In der Schranktür befand sich ein hoher Spiegel; ich war überzeugt davon, dass sie ihn gerade ansteuerte. Dass sie nun bereit war, hinauszutreten in meine Welt, und dass es nicht lange dauern würde, bis sie sich so wunderbar fühlte, wie sie aussah. Ich wünschte mir, ich hätte sie noch einmal geküsst, bevor sie sich aus meinen Armen löste.
    Unten packte ich Julia sofort in ein Taxi; ich wollte sie in kleinen Dosen an den Anblick der Moderne gewöhnen. Wir fuhren die 3rd Avenue hoch, sodass sie die Straße ohne Hochbahn und Straßenbahngleise sehen konnte. An der 42nd Street bogen wir nach Westen ab, vorbei an der Grand Central Station, nach Julias Meinung, der ich mich anschloss, weit beeindruckender als das kleine rote Backsteingebäude, das wir hier zuletzt gesehen hatten.
    Die Madison Avenue hinauf; die bezaubernde ruhige kleine Straße, die Julia noch kannte, war nun natürlich nicht mehr wiederzuerkennen. Und dann zur 59th Street, am südlichen Rand des Central Park vorbei; und wieder verspürte sie die Freude und Erleichterung, etwas Vertrautes vorzufinden. Ich mietete eine der Pferdedroschken, die neben dem Park an der 59th Street standen, da ich annahm, Julia würde die Fahrt genießen. Und eine Zeit lang fuhren wir – wieder das vertraute Klappern von Hufen – ohne festes Ziel durch den Park, während Julia darüber staunte, dass keine anderen Pferde zu sehen waren und dass die ›Automobile‹ so schnell und relativ leise waren. Ihr gefielen die Autos, sie fand sie weit schöner und interessanter als Kutschen, und ich merkte, dass sie lieber ein Taxi genommen hätte.
    Wir fuhren Central Park West entlang, und ich zeigte ihr das Dakota, das nun von anderen Gebäuden umgeben war; dann fuhren wir zum Droschkenstand zurück. Ich entlohnte den Kutscher, und wir gingen zu Fuß zur Ecke 59th und 5th. Die Ecke, an der ich an einem kalten Januarmorgen zum ersten Mal die Welt von 1882 erblickt hatte, an der ich ängstlich und erregt zugleich auf die Pferdebahn gestarrt hatte, die auf mich zukam, und an der ich mich dann nach Süden gewandt hatte, zu der schmalen, mit Wohnhäusern gesäumten 5th Avenue. Damals war ich mit Kate hier gewesen, daran aber wollte ich jetzt nicht denken. Ich wollte, dass Julia genau dasselbe Stück der 5th Avenue, die 5th Avenue des zwanzigsten Jahrhunderts, sah.
    Als wir uns gegenüber dem Plaza Hotel dieser Straßenecke näherten, sagte ich: »Julia, wir gehen jetzt neben dem Central Park her, und das hier ist die Ecke 59th und 5th, wo also befinden wir uns?« Ich hatte den Zeitpunkt sorgfältig gewählt; nun hob ich meine Hand und zeigte auf die wohl spektakulärsten eineinhalb Dutzend Straßenblöcke der Welt. »Sag mir also – welche Straße ist das?«
    Sie seufzte tief, schaute mich verwirrt an, blickte dann wieder zurück, und das Ausmaß der Veränderung, der Angriff auf ihre Sinne, den diese

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