Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
die großen orangeroten Flammen, die aus den Fenstern des alten Welt -Gebäudes herausschlugen; ich roch noch den schwarzen Rauch, hörte das Tosen des Feuers, das nun aus dem Gedächtnis der Menschen vollkommen verschwunden war. Nur die Frau neben mir und ich erinnerten uns daran; ich fragte mich, was wohl aus Ida Small geworden war. Ich trat auf die Mauer zu und presste meine Handfläche dagegen, spürte den Stein, fühlte, wie er die Wärme der Hand aufnahm; er musste real sein. Aber Julia schaute mich an und schüttelte den Kopf. Ich nickte. »Ich weiß; auch mir kommt es sehr unwirklich vor.«
Sie ging zu unserem wartenden Taxi zurück, drehte sich dann noch einmal zu dem alten Gebäude um und deutete mit dem Finger darauf. »Ungefähr dort muss das Observer -Schild gehangen haben.« Sie warf einen unsicheren Blick auf den Taxifahrer, der so tat, als hörte er uns nicht, dann trat sie näher auf mich zu und senkte ihre Stimme. »Si, kannst du dir vorstellen, dass wir vor zwei Tagen über dieses Schild geklettert sind?« Sie zeigte auf das alte Times Building. »Und dort ist genau das Fenster, durch das wir in Mr. J. Walter Thompsons Büro gestiegen sind.«
Ich nickte und lächelte, obwohl es schwerfiel, sich dies alles überhaupt vorzustellen. »Seine Werbeagentur existiert übrigens noch immer. Ich glaube, sie ist eine der größten der Welt.«
»Wirklich?«, sagte sie freudig, als wären das gute Nachrichten von einem alten Freund. »Es freut mich, das zu hören. Er war ein sehr netter Mann.«
Wir setzten unsere Fahrt fort, Häuserblock für Häuserblock; Julias Kopf bewegte sich ständig irritiert von der einen auf die andere Seite. Fast alles erschien ihr vollkommen fremd, eine völlig andere Stadt, bis auf die großen gelben Straßenschilder, die sie erkennen konnte. Und immer wieder hörte ich sie murmeln: »Verschwunden … verschwunden … verschwunden …«
Ich weiß nicht, was der Taxifahrer von uns hielt; alle paar Sekunden warf er uns im Rückspiegel einen forschenden Blick zu. Aber als er meinen Blick auffing und anfangen wollte zu reden, setzte ich die abweisendste Miene auf, die mir zur Verfügung stand. Ich mag die New Yorker Taxifahrer nicht. Es ist zu viel über sie gesagt und geschrieben worden, sie sind arrogant geworden, und es interessierte mich nicht im Geringsten, welche klugen Sprüche dieser Junge von sich geben wollte. Julia hatte natürlich bemerkt, dass er alles, was wir sagten, hörte. Manchmal, wenn wir an einer Ampel warten mussten, betrachteten uns andere Auto- oder Lastwagenfahrer erstaunt. Und natürlich passierte das auch, als wir zu Fuß gingen. Aber ich glaube, die wenigsten machten sich darüber wirklich Gedanken; wahrscheinlich glaubten sie, wir befänden uns gerade auf dem Weg zu Filmaufnahmen, für einen Werbespot im Fernsehen. Aber Julia nahm ihre Blicke sehr bewusst wahr, und als der Taxifahrer uns erneut im Rückspiegel musterte, beugte sie sich zu mir herüber und murmelte: »Sind wir nicht bald bei dir zu Hause, Si?« Ich nickte und sagte dem Fahrer, er solle sich beeilen.
Einen Umweg allerdings gönnte ich uns noch. An der 3rd Avenue und der 23rd Street bat ich ihn, nach Westen zu fahren, und als er mich neunmalklug auf meine ursprünglichen Angaben hinwies, sagte ich nur: »Auf der 23rd nach Westen!«; und er drehte um.
Wir fuhren um den Madison Square herum und dann auf dem Broadway nach Süden. Julia packte mich am Ärmel, genau, wie ich es mir gedacht hatte. »Si!«, flüsterte sie, »er ist weg! Einfach weg!«
»Was?«
»Der Arm! Der Arm der Freiheitsstatue!« Der Taxifahrer war kurz davor den Verstand zu verlieren. »Natürlich, er muss ja fort sein«, murmelte Julia. »Aber … nun weiß ich, dass es wirklich passiert ist. Und dass die ganze Statue im Hafen steht.« Sie hatte sich bei mir eingehängt und drückte sich fest an mich. »Es macht mir Angst«, sagte sie und zwang sich zu einem tapferen Lächeln.
Als wir an der 23rd an einer roten Ampel stehen bleiben mussten, sah Julia durch die Frontscheibe hinaus auf die Straße; um den Taxifahrer kümmerte sie sich nun nicht mehr. »Das Fifth Avenue Hotel«, sagte sie. »Fort!« Über ihre Schulter sah sie zwischen den Bäumen des Platzes hindurch. »Alle Hotels sind verschwunden. Delmonico’s auch.« An der 22nd Street, wieder an einer Ampel, deutete sie erneut mit dem Finger nach draußen. »Das Abbey Park Theater – verschwunden. Und die Ladies’ Mile, Si?«
Ich nickte. »Verschwunden.
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