Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
glaube ich, aber sie wird es einmal sein –, wenn die Zeit dafür reif ist, dass dies nicht mehr geheim gehalten werden muss, dann wird Ihnen ein Ehrenplatz in der Geschichte dieses Landes zuteil werden. Ihre Erkenntnisse, Si, machen diesen nächsten Schritt erst möglich, und nun wollen wir, dass Sie sie nutzen. Sie kehren zurück und tun nur eines: Sie machen ›Carmodys‹ Geheimnis publik. Sie stellen ihn als das bloß, was er ist – ein Schreiberling namens Pickering, der für Carmodys Tod verantwortlich ist und für die Zerstörung des Welt -Gebäudes. Natürlich werden Sie keine Beweise haben; er wird nicht verhaftet oder verurteilt werden. Aber sein Ruf ist ruiniert. So wie er es verdient. Könnten Sie das tun, Si?«
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. »Aber … warum? Weshalb denn nur?«
Esterhazy lächelte. »Begreifen Sie denn nicht? Das ist der nächste logische Schritt, Si, von dem wir gesprochen haben. Ein sehr kleines, vorsichtiges Experiment, das wir unter Kontrolle haben … um den Lauf der Geschichte zu verändern. Nun ist die Zeit für diesen nächsten Schritt gekommen, eine kleine, vorsichtige Änderung der Ereignisse in der Vergangenheit … zum Wohle unserer Zeit und unseres Landes. Denken Sie darüber nach! Wir können verhindern, dass Carmody – oder Pickering, wie wir nun wissen – Berater von Präsident Cleveland wird. Und es gibt gute Gründe anzunehmen, dass dadurch wirklich der Lauf der Geschichte beeinflusst wird. Wenn um 1890 Kuba in den Besitz der USA übergegangen wäre …« Er grinste. »Nun, ich muss den Nutzen dessen nicht ausführen. Der Name Castro wird das bleiben, was er einst war, der Name eines Unbekannten, eines Arbeiters auf einer Zuckerplantage.
Das ist der nächste Schritt, Si; falls es funktioniert, erwächst daraus ein klarer, sofortiger Nutzen und, was noch wichtiger ist, es wird als gelungenes Beispiel für spätere, größere Eingriffe dienen. Mein Gott …« Seine Stimme erstarb vor Ehrfurcht. »Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, die unsere Gegenwart unumstößlich geprägt haben – welch eine unglaubliche Möglichkeit.«
Es herrschte Schweigen. Ich war niedergeschmettert. Als ganz gewöhnlicher Mensch, der noch lange nachdem er erwachsen war, die kindliche Vorstellung mit sich herumtrug, dass die Leute, die das Leben anderer mehr oder weniger in der Hand haben, irgendwie besser seien und ein höheres Urteilsvermögen besitzen als wir Übrigen; dass sie intelligenter seien. Erst durch Vietnam war mir bewusst geworden, dass einige der wichtigsten Entscheidungen aller Zeiten von Menschen getroffen werden, die nicht mehr wissen und nicht intelligenter sind als wir anderen auch. Dass möglicherweise meine eigene Meinung und mein eigenes Urteilsvermögen genauso gut oder sogar besser sein können. Einen Teil dieser kindlichen Ehrfurcht gegenüber Autoritäten hatte ich noch nicht verloren. Als wir nun in dieser erwartungsvollen Stille vor Esterhazys Schreibtisch saßen, kam es dem unbedeutenden Simon Morley sehr anmaßend vor, den Sachverstand des Vorstandes infrage zu stellen – und auch den der wichtigen Männer in Washington, die diesem Projekt zugestimmt hatten. Dennoch musste ich es tun. Und ich tat es auch.
Ich stotterte, sprach verworren, unzusammenhängend. Ich griff mir sogar als Erstes den unwichtigsten Aspekt der ganzen Geschichte heraus. »Zurückgehen und absichtlich Jake diskreditieren?«, begann ich. »Sein Leben zerstören? Ich, äh … hat denn irgendjemand überhaupt das Recht dazu?«
»Der Mann ist seit Langem tot, Si«, sagte Esterhazy ruhig, als spräche er zu einem Tölpel, den er nicht beleidigen wollte. »Was zählt, sind wir.«
»Er ist nicht tot, dort, wo ich ihn treffen kann.«
»Ja, aber Si, viele Menschen bringen viel größere Opfer als er. Zum Wohle des Landes.«
»Aber er wird nicht einmal danach gefragt!«
»Das werden die anderen auch nicht; sie werden einfach zur Army eingezogen.«
»Nun, vielleicht sollten sie auch gefragt werden.«
Er schien nicht zu verstehen, was ich meinte. »Was meinen Sie damit?«
»Vielleicht ist es falsch, jemanden für die Army zu verpflichten, wo er gegen seinen Willen andere töten muss.«
Sie sahen mich nur verständnislos an. Ich erkannte, dass ich es am falschen Ende angepackt hatte. Deshalb sagte ich: »Bitte denken Sie doch einmal ernsthaft darüber nach, Sie alle hier. Kann es – kann es denn überhaupt recht sein, vergangene Ereignisse zu verändern? Ich
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