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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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Square war besetzt: Man blickte auf dicht gedrängte Schultern, Melonen, Zylinder, Pelzkappen, Hauben und Tücher. Hunderte von Männern, Festwagen, Flaggen, Kapellen und Pferde zogen durch die Straßen, die gesäumt waren von dichten Menschentrauben. Am Straßenrand waren in regelmäßigen Abständen Tonnen aufgestellt, aus denen Rauch quoll und Flammen ihr flackerndes Licht auf den Zug warfen.
    Der Lärm und die Klänge waren mitreißend: die wunderbare Blechmusik der Blaskapellen und die Rufe der Menge. Was sie riefen – ich hörte es immer und immer wieder –, war »Hurra!« – ein kräftiges Hurra. Wir standen da, hörten das Pfeifen der Feuerwerkskörper und sahen sie vor dem schwarzen Himmel mit einem dumpfen Knall in allen Farben explodieren. Raketen schossen durch diese Explosionen und verglühten. Wo landeten sie nur? Da waren Ballons aus Papier, an denen schaukelnde Körbe mit orangefarbenem Licht befestigt waren. Hier und da erfasste das Feuer das Papier, fraß sich hinauf, und der Ballon ging hell flackernd nieder. Wo? Gab es Männer, die auf den dunklen Dächern um den Platz herum mit Wassereimern warteten? Wahrscheinlich; wahrscheinlich gab es sie.
    Es war eine herrliche, tiefschwarze Nacht mit aufglühenden Farben, Ledersohlen, die auf Pflastersteinen erklangen, Trommelschläge. Es war nur eine politische Parade, denn Wahlen standen bevor, aber es machte trotzdem Spaß. Eine weitere Kapelle marschierte nun vorbei; die Männer trugen hohe Hüte mit Federn und schmalen Krempen. Die Trommeln wirbelten, viele mächtige Hörner und Trompeten und dieses glockenartige Ding, das alles übertönte. Herrliche, volle Klänge, ganz nah, und wieder spürte ich in dieser Nacht, wie es mir über den Rücken lief, dieses leicht exstatische Gefühl. Eine Erregung, die sich aus dem Nichts zu speisen schien.
    Nun kam endlich die Kapelle eines Turnvereins in seltsamen Kostümen, die wir noch sehen wollten – Willy hatte darauf bestanden. Dann gingen wir, drängten uns durch die Menge auf dem Balkon. Mir gefiel das Hotel, vor allem, nachdem ich gehört hatte, dass ein paar von den alten Männern, die in der Lobby herumsaßen, Veteranen aus dem Krieg von 1812 waren; an diesem Abend aber waren sie nicht zu sehen. Durch den Seitenausgang des Hotels hinaus, über die Straße, um den Platz herum; an den Bordsteinen warteten die Kutschen, ihre Lichter waren angezündet, gelegentlich stampfte ein Hufeisen auf das Pflaster. Das Pferd, dem wir uns näherten, begann zu urinieren; fasziniert wollte Willy zuschauen. Julias Arm, der sich bei mir untergehakt hatte, zog uns beide aber weiter; ich grinste. Einige Kutschen weiter blieben wir stehen und hielten Willy hoch, damit er die weiche Nase eines etwas vornehmeren Pferdes streicheln konnte; das mochte er ganz besonders.
    Dann gingen wir nach Hause. Die Straßen waren fast ausgestorben, bis auf gelegentliche Fußgänger oder das einsame Rattern einer Kutsche. Es war schön draußen, nicht zu kalt. Der Mond war vorher noch zu sehen gewesen, nun konnte ich ihn aber nicht mehr entdecken. Viele Sterne allerdings, der Himmel war ein großes, schwarzes Zelt über diese Stadt gespannt, und Millionen von Sternen, nahe am Horizont, schimmerten und glitzerten.
    Willy war eingeschlafen, sein Kopf lag schwer an meiner Schulter, als wir den kleinen grünen Platz erreichten, der Gramercy Park heißt. Wir bogen in eine Straße ein und umrundeten ihn. Auf der anderen Seite des Parks gegenüber von Julias Tante hatten wir ein Haus gemietet, ein dreistöckiges braunes Sandsteinhaus mit Keller und Speicher. Julia und ich wollten gerne in der Nähe ihrer Tante wohnen. Ich mochte Tante Ada – und sie war für uns eine angenehme und bereitwillige Babysitterin.
    Wir kamen an einer Kutsche vorbei, deren Pferd an einem Pfosten festgebunden war; die Lampen des Gefährts leuchteten orange; ich machte mir so meine Gedanken. Dann hörte ich eine Tür gehen und sah gleich darauf Licht aus dem Eingang zum Haus von Bostwick auf die Stufen fallen; ein Mann kam heraus und setzte seinen Hut auf. Er trug er eine Tasche in der Hand: ein Arzt. »Der alte Mr. Bostwick muss krank sein«, meinte ich. Julia nickte; sie hatte es gestern, als sie mit Willy im Park war, von einer anderen Mutter gehört. Der alte Mr. Bostwick interessierte mich, denn er wurde 1799 geboren, dem Jahr, in dem Washington starb – einige wenige Wochen oder Monate waren sie vielleicht Zeitgenossen gewesen.
     
    Ich heiße Simon Morley, bin

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