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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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genau diesem Moment – manchmal kommt das vor – fragte Julia: »Bist du glücklich, Si?«
    »Überhaupt nicht. Warum sollte ich?«
    »Meinetwegen vielleicht?«
    »Nun, ja. Jetzt gerade … hier in diesem Haus … Willy schläft drüben, Rover unten, zwei Zeichnungen diese Woche in der Zeitung, und hier in diesem kuscheligen Bett mit dir …«
    »Hör auf. Es ist viel zu spät.«
    »Ich bin so glücklich« – ich blickte zur Decke und sagte »ich mache nur Spaß!«— »wie es ein Mensch nur sein kann, ohne zu zerspringen. Reicht dir das?«
    »Ein bisschen besser als gar nichts.«
    »Besser kann ich’s nicht ausdrücken. Warum fragst du — beunruhigt dich etwas?«
    »Oh, nein. Es ist nur, dass du wieder singst.«
    »Was?«
    »Diese seltsamen Lieder.«
    »O Gott, das war mir nicht bewusst.«
    »Ja. Nachdem du Willy am Sonntag gebadet hattest, habe ich ihn ins Bett gebracht, und er versuchte etwas Ähnliches wie ›Raindrops fa’ my head‹ zu singen.«
    »Verdammt, ich muss das lassen! Ich will dem Jungen nicht die Errungenschaften des zwanzigsten Jahrhunderts aufbürden. Zumindest nicht in der nächsten Zeit. Wenn überhaupt jemals. Dies hier ist die Zeit, in der er aufwächst und lebt. Und ich will, dass er so ist wie alle anderen auch …«
    »Ja, ja, mach dir keine Sorgen, er hat es längst wieder vergessen, es wird keinen Schaden hinterlassen. Nur – du bist es, um den ich mir Sorgen mache. Du weißt nicht einmal, dass du das tust. Manchmal summst du nur, aber ich weiß, dass es Lieder aus deiner Zeit sind, denn die Melodien sind so sonderbar.«
    Ich lächelte. Julias Vorstellung eines guten Liedes – die Vorstellung aller hier – entsprach dem, was ihre Tante gerade gekauft hatte; die Notenblätter zu ›Baby’s Gone to Heaven‹. Es handelte von einem toten Baby, und der Umschlag – eine wirklich schlechte Schwarz-Weiß-Zeichnung, die ich spät nachts heimlich beiseitegeschafft hatte – zeigte eine Frau mit tränenüberströmtem Gesicht, die ihre Arme zu einem Baby erhoben hat, das in einem himmlischen Glorienschein emporschwebte. Tante Adas Gäste und Freunde, und auch einige unserer Freunde, sangen solche Lieder in Begleitung des Harmoniums. Manche lächelten und demonstrierten gezwungenes Amüsement, aber die meisten seufzten feuchten Auges. Und da fand sie meine Lieder sonderbar?
    Aber ich lächelte nicht nur über die Lieder. Ich war in der Zwischenzeit längst zu einem Teil dieses neunzehnten Jahrhunderts geworden. Ich wusste, wie diese Zeit lebte, dachte, fühlte und glaubte; all das hatte ich mir angeeignet. Aber wie jemand, der ständig in einem fremden Land lebt, der Sprache und Sitten kennt und darin aufgeht, trug ich dennoch im Geheimen Dinge mit mir herum, die immer Fremdkörper in dieser Zeit bleiben mussten. Dinge wie meine Vorstellung von Humor oder wie ein Lied sein sollte, Dinge, die in frühester Kindheit geprägt werden und daher nicht geändert werden können.
    »Und wenn ich dich deine Lieder summen höre«, sagte Julia, »weiß ich, dass du an dein früheres Leben denkst.« Das späte zwanzigste Jahrhundert machte Julia Angst; sie lehnte alles ab, was sie davon kannte. Sie wollte, dass ich glücklich war, aber hier bei ihr.
    »Nun, natürlich denke ich gelegentlich an mein früheres Leben.«
    »Könntest du denn noch zurückgehen, Si? Kannst du es noch?«
    »Nun … ich bin mir nicht sicher; es ist fünf Jahre her. Im Projekt lernten wir, dass, wenn man einmal in einer anderen Zeit war, man es gewöhnlich wiederholen kann. Aber ich weiß es wirklich nicht. Außerdem will ich es nicht.«
    »Glaubst du, dass andere es getan haben?«
    »Martin Lastvogel nahm es an; er war mein Lehrer beim Projekt. Er zeigte mir einmal eine Anzeige aus einer New York Times von 1891. Sie lautete ungefähr: ›Alice, Alice, ich bin hier, kann aber nicht mehr zu dir zurück! Grüße mir die Stadt, das MOMA, die Bibliothek und Eddie und Mama. Oh, bete für mich!‹ Und er erzählte mir, es gebe im Friedhof der Trinity Church einen Grabstein mit der Aufschrift: ›Everett Brownlee, geb. 1910, gest. 1895‹. Martin sagte, man nehme an, dass das ein Versehen sei, aber gewöhnlich irre man sich ja nicht bei solchen Grabinschriften. Er glaubte, dass die Daten korrekt seien. Ja, natürlich gab es noch andere. Es ist nicht schwer; Dr. Danziger war wahrscheinlich nicht der Erste, der auf die Idee gekommen ist. Obwohl es nicht viele gibt, die in der Lage sind, es zu tun«, fügte ich an und

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