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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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dass nun nichts in der Umgebung höher war als das Plaza. Ich blickte hoch zu den erleuchteten Fenstern. Auf der anderen Seite der 5th, dem Plaza direkt gegenüber, drang Licht aus den Zimmern eines weiteren Hotels, und an der Ecke daneben noch eines dritten. Diese Ansammlung großer Hotels, deren Lichter in der Dämmerung nun angingen, besaß für mich etwas Mitreißendes; ich stand da und sah, wie vor dem allmählich dunkler werdenden Himmel von Manhattan das Licht in immer mehr Räumen aufleuchtete. Dann geschahen drei wundervolle Dinge fast gleichzeitig.
    Ich erblickte ein Taxi – ein hoher roter Kasten –, das an den Bordstein am Hoteleingang an der 59th Street heranfuhr. Bevor es ganz zum Stehen gekommen war, öffnete sich die hintere Tür, und eine junge Frau stieg aus – sie musste sich kaum bücken, da das Dach des Taxis so hoch war –, und ging, ja rannte beinahe über den Gehweg. Eine glücklich lächelnde Frau mit einem riesigen Hut in einem langen, eng anliegenden Kleid.
    Als diese aufgeregte Frau den obersten Treppenabsatz erreicht hatte, öffnete jemand von innen die Tür und hielt sie ihr auf. Musik drang heraus, ein seltsam klingendes Orchester – mit lautem Piano und einer lauten Geige – spielte Musik in einem schnellen, fast modernen Rhythmus. Und in dem Moment, in dem ich diese Musik hörte und die junge Frau das Hotel betreten sah, geschah noch etwas. Das rote Taxi fädelte sich wieder in den Verkehr ein, und ich sah, wie die Hand des Fahrers die unförmige Hupe betätigte, und ich hörte das glückliche Quäken, und genau in diesem Augenblick, noch in der blauen Dämmerung, gingen wie auf ein magisches Zeichen alle Straßenlaternen entlang der 59th und der 5th an. Und ein Schauer von Freude und Erregung überrieselte mich. Ich trat auf die Straße und wandte mich dem Plaza zu, der Musik und allem, was das Leben hier für mich bereithielt.

14
    Ich überquerte die 59th Street; nur drei harmlose Automobile näherten sich mir langsam und das elektrische Auge eines Cable Car. Soweit ich sehen konnte, gab es noch keinen Eingang des Plaza an der 5th Avenue; die vertrauten Säulen hingegen waren schon da, nur war eine Fensterscheibe zwischen ihnen eingezogen, hinter der ein prächtig ausgestattetes Restaurant zu erkennen war; alle Gäste trugen Abendkleidung.
    Dann betrat ich das Plaza an der 59th Street und folgte der Musik einen mit Teppichen ausgelegten breiten Gang hinab zum Tea Room. Die Zeichnung rechts zeigt sehr schön, was es dort zu sehen gab. Es war wild; irgendwo im Hintergrund spielte ein Quartett einen wilden Ragtime: Piano, Trompete, Geige und eine Harfe, die von einer Dame in einem langen lavendelfarbenen Kleid gezupft und gestrichen wurde. Der Saal war voller Tänzerinnen und Tänzer. Die Herren trugen Anzug, Krawatte und Weste und fast jede Frau einen Hut – große Hüte mit Krempen oder breite Stirnbänder. Eine von ihnen stellte eine sechzig Zentimeter lange Straußenfeder zur Schau, die sich direkt über der Stirn der Frau erhob und hin und her schwankte – ich konnte ihre Bewegungen auf dem Tanzboden verfolgen.

    Da stand ich, beobachtete und lächelte. Ich kannte den Text zu dieser Musik, aber … was taten die Leute denn da Befremdliches? Sie bewegten sich zwar im Rhythmus der Musik, bewegten Schultern, Arme, Hüften, Füße und Köpfe. Doch – wie ich in meiner Zeichnung versucht habe darzustellen, hielten einige der Frauen – wie die im Vordergrund – ihre Arme recht merkwürdig: Die Hand lag an der Hüfte, der Ellbogen aber war gerade nach vorne gestreckt. Andere, wie die Frau links, ließen ihre Unterarme kraftlos nach unten hängen. Gelegentlich beugte ein Mann seine Partnerin weit nach hinten, fast parallel zum Boden.
    Abrupt endete die Musik: See that ragtime couple over there, sang ich im Geiste mit, see them throw their feet  – und alle taten es, alle stießen plötzlich einen Fuß nach hinten up in the air! Und plötzlich sangen alle die letzten Worte laut mit: ›It’s a bear, it’s a bear‹, und schrien es schließlich: ›IT’S A BEAR!‹ Die Musik verstummte, und jeder Tänzer zog die Schultern hoch und schwankte, einen Bären nachahmend, wie ich vermutete, grinsend über die Tanzfläche. Es war einfach großartig.
    Ein Kellner in Dunkelgrün mit Goldtressen blieb bei mir stehen. »Einen Tisch, Sir?« Ich bejahte, er blickte sich besorgt um und runzelte die Stirn, eine symbolische Geste. »Ich fürchte, wir haben keinen freien Tisch,

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