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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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sagte ich und fügte wahrheitsgemäß hinzu: »Ich kann auf diese Musik nicht tanzen.«
    »Aber natürlich können Sie das; es ist ganz einfach, schauen Sie zu.« Wir beobachteten die Tänzer, die sich wie vorhin bewegten. Dann spielte die kleine Band ein altes, sehr bekanntes Lied, ›Alexander’s Ragtime Band‹, ich grinste und sang einige wenige Worte mit, die ich kannte. ›Come on along! … Come on along!‹ Das Jotta Girl sprang auf. »Yeah. Come on along!«, sang sie und streckte beide Hände aus, »to Alexander’s Ragtime Band!« Ich musste aufstehen und ihr auf die wild gewordene Tanzfläche folgen.
    Ich hatte recht; ich konnte darauf nicht tanzen. Doch auch sie hatte recht: Natürlich konnte ich es. Jedenfalls mehr oder weniger. Sie führte mich und bewahrte mich vor gefährlichen Begegnungen mit anderen. Ich ahmte nach, was ich um mich herum sah, schüttelte die Schultern, wiegte mich in den Hüften, warf die Beine nach hinten, wenn es die anderen auch taten, wirbelte herum, gab mein Bestes — und es machte Spaß, es war aufregend; wir mussten immer wieder lachen. Aber als die kleine Band kurz innehielt, um die Notenblätter zu wenden, besaß ich so viel Verstand, die Tanzfläche zu verlassen.
    Wieder an unserem Tisch, nippten wir am Tee, der langsam kalt wurde. Es gefiel mir, hier in diesem dicht gedrängten Raum zu sein, der voll war vom Reden und Lachen fröhlicher Menschen und dem geschäftigen Klappern von Besteck und Porzellan. Ich lehnte mich behaglich zurück und betrachtete die wunderbaren großen Hüte; hielt Ausschau nach dem Mädchen, das aus dem roten Taxi ausgestiegen war, konnte sie aber nicht finden. Darum suchte ich die auffallend lange Straußenfeder, die ich – über den Tänzern schwankend – dann auch gleich entdeckte. Als die Musiker begannen ›Oh, You Beautiful Doll!‹ zu spielen, wollte ich nirgendwo anders mehr sein als an diesem Ort. Ich beugte mich zum Jotta Girl vor und sagte: »Das macht Spaß, viel Spaß. Aber ich bin eben erst angekommen. Von einer langen Reise«, ergänzte ich der Wahrheit entsprechend. »Und« – noch während ich es sagte, merkte ich, dass es stimmte – »ich bin deshalb sehr erschöpft.«
    »Natürlich. Am ersten Tag nach meiner Ankunft ging es mir ebenso. New York ist so aufregend. Wohnen Sie hier im Plaza?«
    »Ja.« Ich nahm die Rechnung an mich – zwei Dollar – und legte drei hin.
    »Ich auch. Danke für den Tee«, sagte sie und entließ mich weltgewandt, indem sie hinzufügte: »Ich trinke nur noch meinen Tee aus. Bonne nuit, monsieur .«
    Ich wollte mich direkt in mein Zimmer zurückziehen, ging aber – da ich noch viel zu aufgeregt war – im Foyer an den Fahrstühlen vorbei, hinaus in diese Nacht im Jahr 1912. Ich stand dort im Dunkeln, direkt mir gegenüber auf der anderen Straßenseite lag der Central Park. War die heure bleu vorüber? Ja. Die Bäume und Sträucher waren nun dunkle, formlose Schatten. Unter den Straßenlaternen schimmerten in fahlen orangefarbenen Lichtkreisen die Schienen der Straßenbahn. Ich schaute zum Himmel hoch; die Luft war noch klar und rein in diesen frühen Jahren des Jahrhunderts, die Sterne leuchteten so nah und blitzend über uns wie in meiner Zeit mit Julia. Auf der anderen Straßenseite überquerten ein Mann und eine Frau – er trug seinen Hut in der Hand, es war noch immer so warm wie tagsüber – gemächlich die Straße, hin zu den einladend ihr Licht verbreitenden Glaskugellampen vor dem Savoy Hotel.
    Von der Straße her war das gleichmäßige Knattern des Kabels zu hören, das in die Vertiefung zwischen den Gleisen der Cable Cars eingebettet war und einen Wagen vorwärtszog. Ich betrachtete sein rundes elektrisches Licht, dessen Schein auf das unebene Kopfsteinpflaster fiel. Irgendetwas irritierte mich jedoch: an jeder Seite begleitete ein über die Pflastersteine gleitendes Lichtrechteck den Wagen. Dann erkannte ich, dass der Wagen offen war, keine Seitenverkleidung hatte, und ich sah die Passagiere auf Bänken sitzen, die die ganze Breite des Wagens einnahmen; es gab keinen Mittelgang. Einige Jugendliche, Schüler der Highschool, saßen unter der Deckenbeleuchtung, unterhielten sich und lachten; die Mädchen hatten langes Haar, manchen von ihnen fiel es in langen Zöpfen über den Rücken, die Jungen trugen Anzug, Krawatte und steife Kragen. Ich nahm an, dass es sich um einen offenen Straßenbahnwagen handelte, der für diese Nacht, in diesem frühlingshaften Wetter, gemietet

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