Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
gesehen. Also machte ich ein Foto. Als ich ihn im Sucher auf mich zurollen sah, war ich überrascht, dass er grün war; ich hatte immer angenommen, sie seien rot gewesen. Rechts von mir das Netherland. Diese ganze neue Ecke hätte Julia begeistert.
Ich fotografierte den Bus vom Vanderbilt-Mansion aus und überquerte anschließend die 5th Avenue, um noch aus einem anderen Blickwinkel eine Aufnahme zu machen. Doch dann riss ich die Kamera hoch, um gerade noch rechtzeitig den Mann aufnehmen zu können, der den jungen Frauen hinterherblickte – sehen Sie ihn dort auf der Straße? Wahrscheinlich hoffte er, einen Blick auf ihre Fesseln erhaschen zu können. Zufällig erwischte ich dabei auch eine Gestalt, die ich in diesem New York noch oft gesehen habe — einen Mann, der an der Straßenecke herumlungerte, wie dieser dort neben dem Laternenpfahl. Einen Augenblick später lehnte er sich mit der Schulter dagegen. Julia würde sich freuen, wenn sie erfahren hätte, dass das Vanderbilt-Mansion noch immer so aussah, wie es sich bei unseren Spaziergängen zum Park präsentierte. Wobei sie niemals die Frage ausließ, wie es wohl innen aussehen mochte, worauf ich immer vorschlug, dass wir doch einfach eintreten, uns umsehen und den Vanderbilts erklären sollten, dass uns der Weg nur ganz zufällig bei ihnen vorbeigeführt habe.
Durch das Tor an der 58th Street rollte ein Wagen auf das Anwesen des Herrenhauses, ich schlenderte hinüber und wollte verstohlen ein Bild machen, wurde aber dabei erwischt, wie Sie sehen können. Meine Kamera war ziemlich groß und auffällig, ich konnte sie nur schwer verstecken. Als ich an der 57th Street wartete, um sie zu überqueren, kam ein offener Wagen die 5th entlanggefahren. Ich hätte leicht vor ihm über die Straße gehen können, hob jedoch meine Kamera und tat so, als fotografierte ich etwas vor ihnen. Diese Aufnahme entstand, während sie an mir vorüberfuhren; die New Yorker Schönheit blickte herablassend an mir vorbei. Der junge Mann am Steuerrad sang ›Turkey Trot‹. Ich ging hinter ihrem Wagen über die Straße und sang leise für mich ›Everybody’s doin’ it, doin’ it!‹ Es machte Spaß, hier auf dieser sonnigen, beschaulichen Straße spazieren zu gehen — eigentlich eher zu bummeln. Ich kam an Kindern vorbei, die auf dem Gehweg spielten, und blieb stehen, um diese Aufnahme (s. rechts oben) zu machen. Doch wieder wurde ich dabei bemerkt, und als ich an ihnen vorbeikam, sagte der Flachskopf: »Haste mir fotografiert, Mista?«
»Nein«, antwortete ich, »bei deinem Anblick hat es die Kamera zerrissen.« Jeder hört diesen alten Witz irgendwann zum ersten Mal; er starrte mich an, dann grinste er und drehte sich um, um es an das Mädchen hinter ihm weiterzugeben. »Der Mann da sagt, wegen dir is die Kamera kaputt.«
Plötzlich erkannte ich, dass das Gebäude mit der Markise, das vor mir lag, das St. Regis Hotel war. Ich ging einen Häuserblock weiter, und an der Ecke machte ich folgende Aufnahme (unten). Unter der Markise, hinter der Absperrung, vernahm ich Stimmen und das fröhliche Klappern von Geschirr. Mittagessen? Ich holte meine Uhr hervor; erst kurz nach elf – es wurde noch Frühstück serviert. Ich wünschte mir sehr auch dort sitzen zu können, unter der Markise, mit Blick auf den gemächlich vorbeifließenden Verkehr.
Ich setzte meinen Spaziergang fort, beobachtete das Leben um mich herum, war glücklich und sah diesen Wagen hier näher kommen. Ich erwischte die Braut, die mit gespitzten Lippen ein Liedchen flötete, und neben ihrem Bräutigam saß.
Dann drehte ich die Filmrolle weiter; ein Paar schlenderte an mir vorüber. Ihr Gesicht war glücklich und fröhlich, und sie war jung, nicht älter als dreißig. Mir kam der Gedanke, dass sie zu der Zeit geboren sein musste, als ich Julia kennengelernt hatte. Und dass sie zu meiner eigenen Zeit, fern in der Zukunft … aber das waren Gedanken, die ich nicht denken wollte.
Als die beiden an mir vorüber waren, machte ich eine Aufnahme (s. rechts); hier sehen Sie sie neben einem beeindruckenden Gebäude, das ich nicht kannte. Machte es, weil sie hier, um 1912, so herrlich jung waren; machte es wegen der Zwillingstürme der St. Pat’s Cathedral – auch das hätte Julia gefreut, wenn sie gesehen hätte, dass beide Türme endlich fertiggestellt waren. Und ich machte die Aufnahme außerdem wegen des Wasserhydranten an der Bordsteinkante und dem Laternenpfahl an der Straßenecke, um den stillen Augenblick
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