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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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Kissen fallen, machte einige trippelnde Schritte und bekam nun seine ersten Lacher. Dann erschien Mrs. Fagin, die Wirtin, wie mir mein Programm sagte. »Warum kommst du nicht, wenn ich dich rufe?«
    »Ich machen Bett.«
    »Du verstehst vom Bettenmachen weniger als ein Maultier.«
    »Ich kündigen!« Er verschränkte trotzig die Arme.
    »Jetzt?«
    Ying dachte darüber nach. »Irgendwann« – wieder Gelächter.
    »Nun, in der Zwischenzeit geh und räume mein Zimmer auf.« Und Ying ging – und sang in hohen Tönen, was wohl ein chinesisches Lied darstellen sollte; wir lachten wieder.
    ›Claire‹ trat ein – dies war ihr Zimmer –, und ich nahm mein Programm zur Hand, denn sie war wirklich schön: Alice Martin. Sie erzählte Mrs. Fagin von ihren Problemen; wir erfuhren, dass sie mit dem ›Greyhound‹ verheiratet und von ihm verlassen worden war, einem Betrüger, der sie schlecht behandelt hatte; trotzdem liebte sie ihn noch immer. Dann verlor ich den Faden der Geschichte, denn ich achtete weniger auf die Worte der Schauspieler, als vielmehr auf den seltsamen Klang ihrer Stimmen. Und bemerkte, dass ihre Stimmen, ohne Mikrofon, sofort von den vielen hundert Zuschauern geschluckt wurden; dieser seltsam gedämpfte, tiefe und echolose Klang verlieh den Schauspielern außergewöhnliche Realität.
    Daneben wartete ich auf Witze von Mizner, es gab aber keine. Claire und Mrs. Fagin traten ab, Ying und McSherry erschienen, und nun erfuhren wir, dass McSherry ein geläuterter Kartenspieler war, der nun als Polizist arbeitete und Claire liebte, und so weiter. »Mrs. Fagin oben«, sagte Ying. »Sie warten.«
    »Nun, vielleicht haben Sie mir etwas zu sagen«, sagte McSherry und holte ein großes Blatt Papier heraus, das er so hielt, dass das Publikum die chinesischen Schriftzeichen sehen konnte.
    Ying warf einen Blick darauf. »Nix wissen.«
    »Das ist schade«, sagte McSherry. Dann, plötzlich und laut: »Sim yup tong!«
    Ying fuhr herum, denn das war, wie sich herausstellte, ein Befehl in seiner Sprache, dem man sich niemals widersetzen durfte. Augenblicklich war er unterwürfig, zu Tode erschrocken, und Ying schrie: »Ni ha limya!«, oder so ähnlich, nahm das Papier und las es wortlos; sein Kopf ging auf und ab, während er den vertikalen Spalten folgte.
    »Du nun wissen?«
    »Vielleicht.«
    McSherry krempelte den linken Ärmel hoch und zeigte eine Narbe auf seinem Handgelenk. Ying Lee sah sie sich an, konsultierte das rote Papier, schaute wieder auf das Handgelenk und verglich anscheinend die Narbe mit der Beschreibung. »Dieses Schlitzauge kommt aus Missouri«, sagte McSherry zum Publikum.
    Wilson Mizner? Der gefeierte Theaterdichter? Ich konnte es nicht glauben. Mit Blick auf das rote Papier sagte McSherry: »Sieht aus wie die Rechnung für ein zerrissenes Hemd.« Als McSherry fragte, wo Claires Ehemann sich befand, antwortete Ying: »Er kommen, irgendwann.«
    »Für ein Schlitzauge«, sagte McSherry, »bedeutet ›irgendwann‹ zwei Minuten oder vierzig Jahre. Was von diesen beiden meinst du?«
    »Er kommen Tag zuvor. Ein Uhr.«
    »Und wann davor?«
    »Sieben Wochen.«
    Nun, dem Publikum gefiel es. Und ich war Teil des Publikums und lachte mit. Aber …
    Mrs. Fagin und McSherry trieben die Handlung voran: er war hier, um Claire zu helfen, weil er sie selbst liebte. Dann kam eine Zeile, die die Times in ihrer Besprechung sarkastisch zitierte. McSherry, der verärgert zu Claires Ehemann, dem ›Greyhound‹, sprach, sagt: »Kein Mann, der nicht von sich aus davon ablässt, krumme Dinger zu drehen, wird es für eine Frau tun, wenn er sie erst einmal hat.«
    »Stimmt das etwa nicht?«, rief Mrs. Fagin auf der Bühne aus; ich warf einen Blick auf das Jotta Girl und dann auf das Publikum. Sie lächelten, das Stück gefiel ihnen, aber Zeilen wie diese nahmen sie ebenso wenig ernst wie ich.
    Einige Male in dieser Szene, wenn McSherry von seinen Liebesgefühlen zu Claire überwältigt wurde, tat er etwas, was mich überraschte. Er wandte sich ab und stand mit gesenktem Kopf mit dem Rücken zum Publikum – etwas, was ich noch niemals zuvor bei einem Schauspieler gesehen hatte. Eine Konvention der Zeit, nahm ich an; starke Gefühle, so schien es, konnten nur mit abgewandtem Gesicht gezeigt werden. Ich habe gehört, dass Balletttänzer in den Augenblicken, in denen sie dem Publikum den Rücken zugewandt haben, sich mit einer eleganten Handbewegung die Schweißtropfen von der Stirn wischen und sie dann gekonnt und

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