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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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geführt wurden, von dem aus wir den Broadway überblicken konnten; auf Hotel- und sogar Theaterdächern, wo bei gutem Wetter Aufführungen stattfanden. Als wir saßen, spürten wir die Hitze der Gasheizgeräte, die überall aufgestellt waren. Unter dem Glitzern des nächtlichen Himmels tranken wir – was sonst – Champagner. Und redeten. Zumindest Archie; ich stellte meist Fragen. Dieser hoch gewachsene, freundliche Mann mit roten Haaren, einem ebensolchen Bart und Sommersprossen war Major der U.S. Army und – was mich nicht überraschte – Chefberater von Präsident Taft, wie schon zuvor beim letzten Präsidenten, Theodore Roosevelt. Ich nickte, war beeindruckt und dachte an ihr nächtliches Treffen beim Flatiron Building. Nun aber hatte Arch sechs Wochen Urlaub; er brauchte eine Pause, obwohl er nicht den Eindruck eines erschöpften Mannes auf mich machte. Zuerst einige Zeit in New York, das er liebte. »Dann einige Wochen in Europa.«

    »Ach ja? Und wann fahren Sie?«
    Es war so leicht. »Mittwoch, kommenden Mittwoch, auf der Campania. Sie ist klein und ein bisschen langsam, aber gerade das gefällt mir, und sie ist ein Cunard -Schiff, also werde ich die Reise genießen. Ich werde niemals seekrank. Ein Freund von mir, Francis Millet, der bekannte Maler« – in seiner Stimme schwang Stolz mit – »verlässt heute mit der Mauretania New York. Sie läuft um Mitternacht aus. Wollte nicht auf mich warten. Er mag New York nicht, können Sie sich das vorstellen?«
    »Um Mitternacht?« Das Jotta Girl schien interessiert zu sein.
    »O ja. Das Ganze ist ein ziemliches Spektakel. Kommen Sie mit. Sie beide. Es wird Ihnen gefallen, es ist wie eine riesige Party.«
    Rube … bist du sicher, dass das Z ist?
    Wir tranken unseren Champagner aus und wechselten danach auf die andere Seite des Broadway über. Archie verriet uns nicht, wohin es gehen sollte. Aber als ich den mächtigen steinernen Greif über dem Eingang erblickte, wusste ich, wo wir waren; das war Rector’s. Der Saal war groß, mit Kristallleuchtern ausgestattet, luxuriös und voller Menschen. Wir mussten etwas warten, aber Archie war dort kein Unbekannter, und so bekamen wir recht schnell einen Tisch.

    Und während wieder Champagner serviert wurde, bewunderten das Jotta Girl und ich die mit dem Greif bestickten Servietten des Hauses; auch das Tischtuch war mit diesem Emblem verziert, die Gläser und das Besteck. Und Archie, der Teilzeit-New-Yorker, sah uns amüsiert zu.

    Dann unterhielt er uns mit Legenden und Geschichten über Rector: der ehemalige, nun reich gewordene Jockey, der seinen riesigen Diener eine kleine Kanone auf das Dach schleppen und sie abfeuern ließ, um große Ereignisse wie seine Hochzeit anzuzeigen; der reiche Goldgräber aus dem Westen, der einmal im Jahr auftauchte und jedes Mal eine Tasche voller Perlen hatte, die er auf dem Tisch durch seine Finger rieseln ließ. Die riesigen Äpfel, die aus Frankreich importiert wurden und mit einem aufgeklebten Papiergreif reif geworden waren. Rectors Zeichen war einfach überall.

    Um uns herum elegante Leute, darunter eine auffallende Schönheit, die mich dabei ertappte, als ich sie anstarrte. Ein nettes Orchester, dem ich, während Archie redete, mit halbem Ohr zuhörte; ich überlegte, wie viele Lieder aus dieser Zeit sich erhalten hatten. Sie spielten ›By the Light of the Silvery Moon‹ … ›I Wonder Who’s Kissing Her Now‹ … ›Meet Me Tonight in Dreamland‹ … ›Oh, You Beautiful Doll‹ … Dann, mitten in ›Let Me Call You Sweetheart‹  – Archie war gerade mit der Apfelgeschichte fertig – brach das Orchester ab und setzte plötzlich ein mit ›I’m Falling in Love with Someone‹. Archie beugte sich diskret über den Tisch und flüsterte: »Dort ist er! An der Tür!«
    Ich blickte auf, sah einen Mann in Abendkleidung, Anfang fünfzig, der nickte, lächelte, sich leicht verbeugte und dem vereinzelten Applaus dankte. Dann begab er sich zu dem Orchester. »Er bedankt sich nun bei ihnen«, sagte Archie. »Das tut er immer.«
    »Und wer ist das?«
    Archie war verblüfft. »Victor Herbert, natürlich! Wenn sie ihn kommen sehen, wechseln sie zu einer seiner Kompositionen über. Und jedes Mal bedankt er sich bei ihnen dafür – sehen Sie? Ein sehr höflicher Mensch.«
    Wir bestellten unser Essen, das Jotta Girl stupste mich mahnend, Champagner nachzuschenken. Nachdem wir einen Schluck genommen hatten, fragte ich Archie, ob er Alice Longworth kenne.
    Natürlich!

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