Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
sich mit einem Freund: »Ich werde nun vier Hawaiianer für Sie imitieren«, und er begann den vielleicht berühmtesten Monolog des Varietés. Ich lächelte. Nicht Joe Cooks wegen, sondern der beiden wegen, von denen ich genau wusste, dass sie dort hinten irgendwo standen und glücklich waren über ihre ›Woche‹, die berühmte dreitägige ›Woche am Broadway‹, mitten unter den bekanntesten Schauspielern ihrer Zeit. Ich hoffe, der große Mann spricht mit euch, sagte ich mir leise. Ich hoffe, er hat sich die Mühe gemacht, sich eure Namen zu merken und sie wenigstens einmal zu nennen, in dieser berühmten Woche, eine Erinnerung, von der ihr den Rest eures Lebens zehren werdet.
Nun zu Z. Er würde nach Europa gehen; Rube und ich waren uns dessen sicher. Also musste ich herausfinden, wohin er ging, denn … es sah so aus, dass ich mitreisen würde. Wer war Z? Z war Archie, aber wer war Archie? Im Taxi, auf dem Weg zurück zum Hotel, sagte ich: »Würden Sie beide mit mir den Abend verbringen? Einige … Cocktails? Dinner. Irgendwo in der Stadt. Mir ist nach Feiern zumute, vielleicht könnten Sie uns etwas herumführen, Arch.«
»Sehr freundlich von Ihnen, Simon. Es wird mir ein Vergnügen sein.«
»Mir auch«, sagte das Jotta Girl, die zwischen uns saß. Dann murmelte sie in mein Ohr: »Sie haben Ihren Mann gefunden?« Ich nickte.
Im Foyer kaufte ich eine Evening Mail, und wir fuhren mit dem Fahrstuhl nach oben. Archie stieg im vierten Stock aus, wir fuhren weiter zum zehnten. Ich ging am Zimmer des Jotta Girl vorbei, aber als ich meine Tür aufsperrte, stand sie neben mir. »Oh, ich hätte auch eine Zeitung kaufen sollen; bei Wanamaker’s ist Schlussverkauf. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich die Anzeige aus Ihrem Blatt herausreiße?«
Ja, ich hatte etwas dagegen, und ich hatte etwas dagegen, dass sie mit mir in mein Zimmer kam. Ich ließ sie trotzdem mit hereinkommen und stand abwartend neben ihr, bis sie die Anzeige von Wanamaker’s gefunden und sorgfältig den Abschnitt der Schuhabteilung herausgerissen hatte; keinen Augenblick lang glaubte ich, dass sie wirklich daran interessiert war. Dann öffnete ich ihr die Tür und sagte: »Wir sehen uns dann um sechs. Unten.«
»Ja, natürlich, unten. Wo sonst?« Und sie ging an mir vorbei durch die Tür, sah mich an und lächelte; ich verdrehte nur die Augen und schüttelte den Kopf.
23
Das ist das riesige Gesicht, das für mich immer das Symbol für den Broadway des Jahres 1912 sein wird. Archie, kein New Yorker, zumindest war er nicht in dieser Stadt geboren, hatte Folgendes geplant: Er hatte den Taxifahrer angewiesen, nach Westen auf die 32nd Street zu fahren. Dort, wo er in den Broadway einbog, war hing auf einmal dieses unglaubliche Gesicht vor uns in der Luft. Als ich mich zusammen mit dem Jotta Girl aus dem Wagenfenster beugte und es anstaunte, zwinkerte das große elektrische linke Auge uns zu. Ich habe diese Fotografie in einer Geschichte der New York Times über die spektakulären neuen, wie lebendig wirkenden Leuchtreklamen auf dem Broadway entdeckt; ein Wagenrennen mit drehenden Rädern, fliegenden Hufen und niedersausenden Peitschen auf dem Dach des Normandie war ein weiteres Beispiel für diese Art der Werbung. »New York ist verrückt nach ihnen«, sagte Archie; ich nickte und lächelte. »Ich auch.«
Vor uns lag der nächtliche Broadway, der so anders war als die ruhige Straße, die ich tagsüber entlanggegangen war. Alles war voller Menschen und funkelte in hellem Licht: das war wirklich der Great White Way, denn er war weiß; kein Neon – die Scheinwerfer der Autos und Straßenbahnen, die Schaufenster und Theatereingänge wurden von klaren, kerzenförmigen Glühbirnen erleuchtet. Archie grinste: er war stolz auf seine Stadt, als hätte er persönlich jede einzelne Birne selbst eingeschraubt.
Dann enttäuschte er mich jedoch. Der Fahrer fuhr auf die linke Straßenseite hinüber und parkte – vor dem Astor Hotel! Ich wollte nicht dorthin, an einen Ort, der noch zu meiner Zeit existierte und an dem ich schon oft gewesen war. Das Jotta Girl schien ebenfalls wenig begeistert zu sein. Aber wir folgten ihm, hinein, zu den Aufzügen, an denen Archie – Mr. Manhattan persönlich – dem Liftjungen einfach zunickte und mit dem Zeigefinger nach oben wies. Dann traten wir auf den Dachgarten des Astor hinaus – ich wusste nicht, dass es überhaupt einen gab. Dachgärten gebe es überall in der Stadt, meinte Arch, während wir an einen Tisch
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