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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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da wie erstarrt und fühlte mich so unwohl, als wohnte ich etwas Verbotenem bei. Mein Vater: Sollte ich zu weinen anfangen? Nein. Aber ich schaute nicht mehr auf die Bühne. Ich schloss die Augen und wartete einfach ab. Forbidden.
    Applaus, dann sang sie noch ein Lied – doch ich kannte es nicht. Noch einmal Applaus, und sie sang weiter, und ich sah hoch, und er war da, noch immer da, über die Tasten gebeugt, lächelte, warf einen Blick zur Seite und schenkte uns ein Lächeln. Er spielte dort oben, und sein Kopf bewegte sich zum Rhythmus der Musik. Das Licht auf seiner weichen jungen Wange; der geschlagene Mann mit seinen gescheiterten Ehen; der Alkoholiker, der bereits in ihm steckte, hier, auf dem Gipfel ihrer beider Leben, die berühmten Tage – die nicht einmal eine Woche dauerten –, als sie ›am Broadway‹ auftraten. Ich hätte nicht herkommen sollen, Danziger hatte recht, wie immer; so etwas gehörte sich nicht.
    Dann war es vorüber, der Applaus verebbte schnell, und schon waren sie verschwunden. Ich hatte nicht applaudiert, sondern mich abgewandt, denn ich hatte kein Recht hier zu sein; mein Platz hätte leer bleiben sollen. Ich saß da, wollte nach Hause zu Willy und Julia und dort bleiben, und wollte es so gerne; ich hatte hier nichts mehr verloren.
    Aber nun leuchtete das F auf, Madam Zelda; ich beschloss, erst nach ihrer Vorstellung zu gehen. Also blieb ich in meiner Benommenheit sitzen und wartete darauf, dass das, was an Gefühlen in mir war, sich auflöste und ich wieder in der Lage sein würde, einen klaren Gedanken fassen zu können.
    Madam Zeldas Auftritt begann auf herkömmliche, aber immer wieder wirkungsvolle Weise. Langsam hob sich der Vorhang und gab den Blick auf eine dunkle Bühne frei, auf deren Mitte ein harter Lichtstrahl herunterfiel. Während das Publikum leiser wurde, verstärkte sich der Strahl und machte eine große Glaskugel auf einem Kissen sichtbar. Er vergrößerte sich und beleuchtete nun auch das Gesicht von Madam Zelda von unten, dann allmählich ihren gesamten Oberkörper. Absurd, aber wirkungsvoll. Sie hatte sich mit gekreuzten Beinen niedergelassen und trug eine Art Haremskostüm, auf dem Kopf einen Turban. Regungslos saß sie da und starrte in die glühende Glaskugel. Das Publikum wartete stumm.
    Plötzlich die beeindruckend tiefe Stimme eines Mannes – von hier unten im dunklen Zuschauerraum: »Mad-am Zellda!« Während er sprach, fiel ein Scheinwerferlicht auf ihn; er befand sich im Gang: groß, breit, brauner Anzug, weißes Hemd und dunkle Krawatte. »Sind Sie bereit?«
    Eine Pause, die lange genug war, um den Eindruck zu erwecken, dass sie nicht antworten würde. Dann: »Jaaa«, lang gezogen. »Madam Zelda … ist bereit!«
    Der Scheinwerferstrahl erfasste nun auch einen anderen Mann aus dem Publikum, der neben dem großen Mann im Gang saß; er sah lächelnd und erwartungsvoll zu ihm hoch. »Ich habe hier einen Brief, der einem Gentleman gehört und an ihn adressiert ist. Wie … heißt er?«
    »Sein Name lautet … Robert … Lederer.«
    »Und die Adresse?«
    »Die Adresse ist … einhundertelf West 8th Street, City!«
    »Ist das korrekt, Sir?« – er gab den Umschlag zurück und der Mann nickte und lächelte töricht. »Vollkommen korrekt!« Schnell ging der große Mann den Gang hoch, ignorierte Briefe oder Karten oder was ihm sonst hingehalten wurde, blieb dann stehen und beugte sich in eine Reihe vor, um die Hand einer jungen Frau zu ergreifen. »Diese junge Lady, Madam Zelda! Trägt einen Ring! Sagen Sie uns, Madam Zelda, wie der Ring aussieht?«
    »Der Ring … der Ring …«
    »Ja. Beschreiben Sie ihn bitte!«
    »Er enthält einen Diamanten, einen wunderbaren Diamanten, und zu beiden Seiten dieses schönen Steins ist eine schimmernde Perle gebettet!« Wie machte sie das? Durch einen Code, nahm ich an, durch einen ausgefeilten Code, der in dem, was der Mann sagte, verborgen war.
    »Richtig!«, rief er; das Mädchen schien erfreut und geniert zugleich. Der große Mann ging mit schnellen Schritten den Gang hinauf und dann hinter mir durch eine Reihe, sodass ich ihn nicht mehr sehen konnte, ohne mich umzudrehen. Aber ich hörte ihn. »Ein Gentleman, Madam Zelda! Nennen Sie mir den Namen … den Namen der Schwester dieses Mannes!« Code hin oder her, wie konnte er das wissen?
    »Ihr Name lautet … Clara!«
    »Ist das richtig, Sir? Ja! Der Gentleman sagt, dass Sie recht haben! Und nun, Madam, habe ich die Uhr dieses Gentleman in meiner Hand!

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