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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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gestutzten Mähne hielten sie hoch, stolz hoben sie die Knie fast bis zur Brust. Viele Gespanne bestanden aus einander absolut ähnelnden Pferden, schwarzen, braunen, grauen oder weißen. Und in den Kutschen saßen die elegantesten, schönsten und aufregendsten Frauen, die ich jemals gesehen habe. Nach ein paar Runden um den Platz fahren sie einkaufen, sagte Julia – zur Ladies’ Mile, die sich den Broadway entlang in südlicher Richtung erstreckte.
    Wir kamen nun näher, und ich lächelte vor Vergnügen, als ich diese Frauen sah, die sich nicht in die tiefen Polster ihrer von langweiligen Chauffeuren gesteuerten, teuren Automobile zurückfallen ließen, in denen sie beinahe verschwanden; diese Ladies saßen aufrecht und weit vorne, lächelten, zeigten sich hinter dem blitzenden Glas, sahen königlich und vollkommen mit sich zufrieden aus. Es war absurd, protzig, eine offene Zurschaustellung von Geld und Privilegien, die so unschuldig wirkte, dass sie schon wieder bezaubernd war; ich hätte vor Vergnügen laut lachen mögen.
    Wir waren nun weniger als einen halben Block entfernt und konnten sie auch schon hören: die dünnen Schreie der Kinder, das Geklingel der Glöckchen am Zaumzeug, das scharfe hohe Geklapper der edlen Hufe auf den Holzplanken der Wege. Und jetzt sah ich auch, dass jemand tatsächlich den Verkehr auf dem Broadway und der 5th Avenue regelte: Ein riesiger Polizist mit hohem Helm und weißen Handschuhen leitete mit abgezirkelten, eleganten Bewegungen eines dünnen Stockes den Verkehr – wie ein Dirigent ein Orchester – und achtete darauf, dass die Kutschen, die den Platz verließen, sich zügig in den starken Verkehr einfädeln konnten.
    Eine wunderbare Szene. Über den Platz hinweg konnte ich zwischen den Zweigen der Bäume die weißen Fassaden mir unbekannter Hotels erkennen und ihre Schilder entziffern: das Fifth Avenue, das Albemarle, das Hoffman House, St. James, Victoria und im Norden das Brunswick. Es folgte eins auf das andere – so etwas hatte ich in New York noch nie gesehen; lächelnd sagte ich zu Julia: »Das ist Paris!«
    Sie lächelte, in ihrem Gesicht spiegelte sich meine eigene Aufregung, aber sie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist New York«, sagte sie stolz.
    Wir gingen weiter zur Madison Avenue, warteten am Bordstein auf eine Lücke im Verkehr, und ich zeigte auf den Broadway, der direkt vor uns lag. »Wie weit geht die Ladies’ Mile?«
    »Bis zur 8th Street.« Dann sang sie: »Die Männer besitzen ihn ab der achten Straße, die Frauen verschmähen ihn ab der achten Straße! Das ist dieser großen Stadt Lauf – achte Straße runter, achte Straße rauf.« Ich hätte sie küssen mögen. Es tat sich eine Lücke in der doppelten Reihe der den Platz umrundenden Kutschen auf, ich ergriff Julia bei der Hand, und wir rannten über die Madison Avenue zum Madison Square. Durch die Umrisse der Zweige und Äste hindurch sah ich etwas Merkwürdiges ein Stück weiter im Norden hinter dem Platz: ein Gebilde, eine Struktur, nein, etwas anderes, irgendwie kam es mir jedoch bekannt vor. Wir bogen in einen Weg ein, der kurvenreich nach Norden und Westen führte, ich drehte meinen Kopf in alle möglichen Richtungen und versuchte aus leicht zusammengekniffenen Augen zu erkennen, was das dort vorne zwischen den Bäumen und Spaziergängern war.
    Ich hatte nach unserem Spurt über die Straße Julias Hand festgehalten, nun blieb ich so ruckartig stehen, dass ich beinahe ihren Arm ausgekugelt hätte, als ich sie zu mir herumdrehte. Ich war völlig verblüfft, starrte über den Platz und wusste nun, was es war; es war unmöglich.
    Was ich zwischen den Wegen, hinter den Leuten, den Bänken, dem Schnee und den erleuchteten Laternen sah, konnte gar nicht da sein, war es aber dennoch; mit offenem Mund sah ich Julia an, und deutete mit dem Finger darauf. »Der Arm«, sagte ich dümmlich, dann schrie ich fast, sodass sich ein Mann zu uns umdrehte. »Mein Gott«, sagte ich, »der Arm der Freiheitsstatue!«
    Ich wäre nicht erstaunt gewesen, wenn er in dem kurzen Augenblick, in dem ich weggesehen hatte, verschwunden wäre; aber er war noch immer da, massiv, fest und unglaublich: Der ausgestreckte rechte Arm der Freiheitsstatue stand an der Westseite des Madison Square, die leuchtende Fackel hoch über die umliegenden Bäume erhoben.
    Ich konnte es einfach nicht glauben. Ich ging so schnell, dass ich beinahe rannte. Julia, die sich bei mir eingehängt hatte, wurde mitgezogen. Sie wunderte sich etwas

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