Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
»Die meisten meiner Sachen würden hier etwas komisch wirken. Können Sie mir ein gutes Geschäft empfehlen?«
Mit einem Stück Toast in der Hand stand sie auf, kam zu mir herüber und begann, die Seiten meiner Zeitung durchzusehen; sie überflog die Anzeigen, während ich mich zurücklehnte und sie beobachtete. Sie bewegte sich anmutig; schnell und sicher blätterten ihre Finger die Seiten um. Bei einer Seite, die fast vollständig mit Anzeigen gefüllt war, hielt sie inne und beugte sich neben mir über den Tisch, um sie sich näher zu betrachten. Und – es war absurd, dachte ich, ein schlechter Witz, den man mir spielte – von ihrem Haar strömte der Duft eines Parfums aus; ich war augenblicklich erregt, der Duft war so intensiv, dass sogar meine Sehkraft in Mitleidenschaft gezogen wurde und ich mich zur Seite beugen musste.
Alle Anzeigen waren eine Spalte breit und bestanden nur aus Text. »Hier!« Julias Fingerspitze zeigte auf eine von ihnen. »Macy’s hat Herrenkleidung zum Verkauf.« Ich versuchte, das Parfum zu ignorieren, und beugte mich näher zu ihr hinüber, um die Anzeige lesen zu können; sie besagte, dass Macy’s Hemden für neunundneunzig Cents verkaufte, was lächerlich wenig erschien, sich allerdings ganz anders anhörte, wenn man bedachte, dass ein ungelernter Arbeiter für einen zwölfstündigen Arbeitstag zwei Dollar bekam. Kragen kosteten sechs und acht Cents, verkündete die Anzeige, halblange Baumwollhosen achtzehn Cents das Paar. Als es in der letzten Zeile der Anzeige hieß: ›Unsere Kunden dürfen versichert sein, dass wir von keinem anderen Geschäft unterboten werden‹, überkam mich ein kleiner Freudenschauer über diesen frühen Vorfahren von Macy’s bekanntem Slogan.
»Oder Sie gehen zu Rogers Peet«, sagte Julia und schaute mich an; unsere Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt, und schnell richtete sie sich auf. »Das Geschäft ist nagelneu und sehr groß«, fügte sie hinzu und ging zu ihrer Seite des Tisches, »und es führt sicherlich alles, was Sie benötigen.« In ihrer Stimme lag ein kühler Unterton; ich glaubte, sie verstanden zu haben. Die Kleidung eines Mannes war ein zu intimes Thema für ausführliche Diskussionen. Ich sagte: »Okay, ich werde zu Rogers Peet gehen«, man sagte ›okay‹, wie ich in der vergangenen Nacht bemerkt hatte, griff nach meiner Kaffeetasse und ließ eine längere Pause folgen, um das Thema endgültig abzuschließen.
Als ich die Tasse hochhob, sah Julia meine Hand. Sie war an diesem Morgen nicht mehr so rot, dafür am mittleren Knöchel blau angelaufen und stark geschwollen. Sie starrte sie an, sagte aber nichts – ich bin sicher, sie kannte den Grund oder konnte ihn zumindest erraten; vielleicht hatte Pickering Ähnliches bereits früher getan –, und sie errötete. Im ersten Moment wusste ich nicht warum, dann sah ich ihre Augen: Sie war wütend. »Wissen Sie, wo Rogers Peet ist?«, fragte sie sehr leise. Ich konnte nur mit »Nein« antworten. »Ecke Broadway und Prince Street, gegenüber dem Metropolitan Hotel, und wenn Sie niemals zuvor in New York waren, dann wissen Sie auch nicht, wo das ist.« Das war wahr, ich wusste nicht, wo die Prince Street lag, und hatte bestimmt noch nichts vom Metropolitan Hotel gehört. Ich schüttelte den Kopf. »Nun, ich gehe zur Ladies’ Mile«, sagte sie, »und werde Sie mitnehmen.« Ich schüttelte sofort den Kopf und versuchte einen Grund zu finden, um den Vorschlag ablehnen zu können; sie überlegte kurz, dann sagte sie sanft: »Sind Sie wegen Jake beunruhigt?«
»Nein, seinetwegen bin ich nicht beunruhigt. Aber er sagte ›Verlobte‹.«
»Ja.« Julia starrte an mir vorbei. »Das hat er schon öfters gesagt.« Sie blickte mich wieder an. »Aber ich habe ihm gesagt, dass ich niemandes Verlobte bin, solange ich das nicht selbst erklärt habe. Und das habe ich noch nicht.« Sie verließ den Raum, um sich zum Ausgehen fertig zu machen und fragte: »Kommen Sie mit?«
Ich wusste genau, ich würde nicht ablehnen, und ließ sie in dem Glauben, Jake habe mich abgeschreckt. Und wenn ich ja sagte, dann sollte es klingen, als ob ich es auch wirklich meinte. »Darauf können Sie wetten«, sagte ich; auch ein Ausdruck, den ich letzte Nacht mehr als einmal gehört hatte. Ich ging nach oben, um Hut und Mantel zu holen. In meinem Zimmer steckte ich einen kleinen Skizzenblock und zwei Bleistifte ein, einen harten und einen weichen. Im Spiegel sah ich für einen Moment mich selbst; ich
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