Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)
früher oder später sowieso mit jemand anderem passiert, auch wenn ich nicht da gewesen wäre.
Ich setzte mich an den Esstisch, und Tante Ada – die, wie ich annahm, auf mich gewartet hatte – trat in ihrer Arbeitskleidung aus der Küche. Sie trug ein einfaches dunkles Baumwollkleid mit einer weißen Schürze, die in einer großen Schleife auf dem Rücken zusammengebunden war. Sie begrüßte mich sehr freundlich und warmherzig, fragte mich, wie ich geschlafen hätte und ob ich mit meinem Zimmer zufrieden sei. Dann sagte sie mir, noch immer lächelnd und darauf bedacht, mich nicht vor den Kopf zu stoßen, dass dies der einzige Morgen sei, an dem ich noch nach acht Uhr Frühstück bekommen könne; ich antwortete, ich würde mich in Zukunft gerne danach richten.
Dann servierte sie mein Frühstück: ein gebratenes Kotelett, Eier, Toastbrot mit drei verschiedenen Sorten Marmelade, Kaffee und die Morgenausgabe der Times. Sie sah mich an, während sie alles auf den Tisch stellte, zögerte, und dann – offensichtlich um mein Wohlergehen besorgt – schlug sie vor, dass ich früher aufstehen solle, wenn ich Arbeit suchte. Sie stellte die silberne Kaffeekanne auf einen dicken, gestrickten Untersetzer, schenkte mir eine Tasse ein und ließ mich dann allein; ich öffnete die Times und begann zu lesen.
Die Story des Tages war GUITEAU FÜR SCHULDIG BEFUNDEN, auf der linken Spalte der Titelseite. Ich übersprang sie jedoch und las die Geschichte der vierten Spalte, Bewilligung der Eisenbahn durch Choctaw. Wie Gould und Huntington mit der neu erworbenen Linie ihre Konkurrenz ausschalteten. Ich konnte allerdings nur schwer folgen; ich verstand, dass eine Gruppe von ›selbsternannten Vertretern der Indianer‹, die die Eisenbahn nicht wollten, schnell durch ›offizielle Vertreter‹ ersetzt worden waren, die das Projekt für eine tolle Sache hielten.
Und ich war fasziniert von ERZBISCHOF PURCELLS SCHULDEN, in der Spalte unter der Choctaw-Geschichte. Aus Gründen, die die Times nicht erläuterte – es schien sich um eine schon seit längerer Zeit bekannte Geschichte zu handeln, da sie Vorwissen voraussetzte –, gab es anscheinend fünftausend Gläubiger, die behaupteten, dass der Erzbischof ihnen vier Millionen Dollar schulde; nun zeichnete sich ab, dass die Forderungen beglichen werden sollten, indem einige ›Gotteshäuser … an den höchsten Bieter versteigert werden sollen‹. Kardinal McCloskey, von den Kongregationen ganz zu schweigen, zeigte sich äußerst empört, und die Times meinte: »Der Fall kommt nun vor Gericht und wird einer der interessantesten der gesamten Rechtsgeschichte Amerikas werden.« Eine Meinung, der ich mich anschloss.
Während ich meinen Toast aß und am Kaffee nippte, las ich eine Anzeige McCreerys, die für ›Abendrouleaus Nonnenschleier in den Tönen weiß, beige, hellblau, elfenbein und rosa‹ warb. Julia kam die Treppe herab, und wir wünschten uns einen guten Morgen, als sie das Esszimmer durchquerte. Während sie sich ihr Frühstück selbst aus der Küche holte, hatte ich Zeit sie zu betrachten. Ihr Haar war hochgesteckt, und sie hatte, obwohl ich mir nicht ganz sicher war, Make-up oder zumindest Puder aufgelegt. Sie war zum Ausgehen angezogen und trug ein wunderbares Kleid aus purpurrotem Samt; das Oberteil war muschelförmig verziert und vorn auf Taillenhöhe saß eine lavendelfarbene Schleife, die mindestens zwanzig Zentimeter breit sein musste. Und es hatte eine Turnüre.
Mag diese Beschreibung auch lächerlich klingen, das Kleid war es nicht; sie sah großartig darin aus. Ich musste mir eingestehen, dass bei mir, als sie sich hinsetzte und lächelnd die Serviette nahm, alle Glocken klingelten; Jake Pickering hatte sich am vergangenen Abend vielleicht doch nicht getäuscht. Ich konnte es mir erlauben, über mich selbst zu lachen und die Anziehungskraft, die diese junge Frau auf mich ausübte, ohne weitere Gefühlsregungen oder Folgen auf mich wirken lassen, da sie im Grunde keine Rolle spielte. In wenigen Stunden würde ich fort sein. »Ich sehe, Sie konsultieren den Anzeigenteil«, sagte Julia im Konversationston.
Ich hatte bereits beschlossen, den Rest des Morgens außer Hauses zu verbringen und antwortete deshalb, um überhaupt etwas zu sagen: »Ja, ich brauche etwas Neues zum Anziehen.«
Sie lächelte. »Nun, Sie werden großartig in neuen modischen Sachen aussehen! Mir ist gestern aufgefallen, dass Sie wenig Gepäck dabeihatten.«
Ich konnte nicht widerstehen.
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