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Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition)

Titel: Zeitspuren: Mit einem Vorwort von Wolfgang Jeschke - Meisterwerke der Science Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Finney
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Straßenleben war ungeheuer lebendig. Man kam nur langsam auf den überfüllten Wegen voran. Jungen, die sich wie flussaufwärts schwimmende Fische dem Strom der Fußgänger entgegenstemmten, drückten jedem, der nur wollte, Werbezettel in die Hand; Männer und Frauen standen in Hauseingängen oder liefen umher und verkauften alles, was nur denkbar war – und auch das Undenkbare. Ich fertigte einige Skizzen davon an, die ich später ausarbeitete. Ein paar sind hier beigefügt:

    Dieses etwa sechzehnjährige Mädchen stand in einem Eingang und hielt ein Holzbrett mit Boutonnieren aus künstlichen Blumen in der Hand. Sie musste gesehen haben, dass ich sie betrachtete, denn als mein Blick von der Tafel zu ihrem Gesicht wanderte, erwarteten mich ihre Augen bereits. Hoffnungsvoll lächelte sie mich an, und da musste ich natürlich eine kaufen. Sie kostete zehn Cents; als ich sie Julia überreichte, bedankte sie sich und sah mich fragend an, als wüsste sie nicht, was sie mit einer Knopflochblume anfangen sollte; sie steckte sie an ihren Muff.

    Im selben Block stand auch ein Mann in einem Hauseingang; zu seinen Füßen befand sich ein Korb, und in seiner Hand hielt er etwas, das jeder ausgiebig betrachten durfte. Als ich es näher betrachtete, stellte es sich als winziger Spitzwelpe heraus, der kaum fünfzehn Zentimeter groß war. Sechs weitere befanden sich im Korb. Sie jaulten und wimmerten, während er sie zum Kauf anbot. Ich ging weiter und traf in der Menge auf zwei Männer, von denen einer Handzettel verteilte; alle beide trugen Sandwich-Tafeln und sehr hohe Hüte. Sowohl auf den Hüten als auch auf den Tafeln war 2 Waisen zu lesen. Obwohl ich meine Hand ausstreckte, um einen der Zettel zu ergattern, bekam ich keinen; ich habe niemals herausgefunden; was dieses Paar eigentlich wollte.

    Am Broadway und der 20th Street, wir näherten uns gerade Lord & Taylor’s, mussten wir plötzlich stehen bleiben, um ein Paar an uns vorüberziehen zu lassen: eine wirklich beeindruckende Matrone mit einem kleinen flachen Hut auf dem Kopf, die einen langen pelzbesetzten Mantel trug, und ein Pakete tragender, barhäuptiger Mann – Geschäftsführer oder Abteilungsleiter? – in leichtem Mantel, Eckenkragen, gestreiften Hosen und mit einem devoten Lächeln auf dem Gesicht; der Bedienstete auf der Kutsche sprang ab, um die Pakete in Empfang zu nehmen.

    In der 19th Street kamen wir an einem fabelhaften Geschäft aus weißem Marmor vorbei, auf dessen Messingschilder  – sie befanden sich jeweils in der unteren Ecke der langen Schaufensterreihen – ich einen Blick warf. Auf einem stand: Arnold Constable & Co. Neben dem Geschäft saß eine Frau mittleren Alters auf einem kleinen Klappstuhl neben der Treppe, die Spielsachen aus einem Korb verkaufte. Wir begegneten einem Mann in dunkelblauem Militärmantel und mit einem flachen blauen Schiffchen auf dem Kopf, wie sie im Bürgerkrieg getragen wurden, der mit einer hölzernen Kiste voller Äpfel, die an einem Lederriemen um seinen Hals hing, gegen den Passantenstrom ankämpfte. Wir sahen eine ältere Frau, die gepresste Farne in einem Korb hatte, die sie verkaufte; ich habe keine Ahnung, wozu man sie brauchte. Wir trafen einen einarmigen Mann mittleren Alters, der ebenfalls ein blaues Schiffchen auf dem Kopf trug; um seinen Hals hatte er einen Leierkasten hängen, der durch ein Bein abgestützt wurde. Er drehte die Kurbel und krächzte dazu – ich hörte genau zu, um ganz sicher zu sein, und es war tatsächlich: »Hail, Hail, the Gang’s All Here!«
    Niemals waren wir außerhalb der Sichtweite von großen Uhren, die auf hohen verzierten Gusseisensäulen standen. Nur die Wohlhabenden besaßen eigene Uhren – ich erinnerte mich gut an Martins Lektionen –, denn sie waren teuer und wurden an die Söhne und Enkel der Familie vererbt. Es gab hier keine Timex.
    Mindestens ein halbes Dutzend Frauen in Trauerkleidung fiel mir auf; ich meine richtige Trauer, alles in Schwarz, von Kopf bis Fuß. Zwei von ihnen trugen sogar einen langen schwarzen Schleier über ihren Kleidern. Und ich sah mehr lahme und verkrüppelte Menschen, Leute auf Krücken und mit Pockennarben und Muttermalen, als ich je zuvor gesehen hatte.
    Wir schritten unter einem fast zwei Meter großen hölzernen Zwicker hindurch, der über dem Gehweg hing und den Laden eines Optikers bewarb; er war vergoldet, und hinter die Gläser waren zwei riesige blaue Augen gemalt.
    An einem Klapptisch stand ein Mann. An der Tischkante

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