Zelot
bis er dort eintraf. Diese Verzögerung verschaffte dem neu ernannten Hohepriester, einem unbedachten und jähzornigen jungen Mann namens Hannas, Zeit und Gelegenheit, das Machtvakuum in Jerusalem selbst zu füllen.
Hannas war der Sohn des extrem einflussreichen ehemaligen Hohepriesters Hannas, dessen vier weitere Söhne (und ein Schwiegersohn, Josef Kajaphas) diesen Posten alle schon einmal bekleidet hatten. Es war jener von Josephus als großer «Geldhorter» bezeichnete Hannas der Ältere, der zu dem schamlosen Komplott angestachelt hatte, die niederen Priester um ihren Zehnten zu bringen, ihre einzige Einkommensquelle. Ohne einen römischen Statthalter, der ihn hätte überwachen können, begann der junge Hannas nun einen rücksichtslosen Feldzug, um seine mutmaßlichen Feinde aus dem Weg zu räumen. Eine seiner ersten Handlungen war es, so schreibt Josephus, den Sanhedrin einzuberufen, um über «Jakobus, den Bruder Jesu, des sogenannten Christus», Gericht zu halten. Hannas beschuldigte Jakobus der Blasphemie und Gesetzesübertretung und verurteilte ihn zum Tod durch Steinigung.
Die Reaktion auf Jakobus’ Hinrichtung kam prompt. Eine Gruppe in der Stadt wohnhafter Juden, die Josephus als «diejenigen, die im Rufe standen, am gerechtesten zu urteilen und die Gesetze streng einzuhalten» schildert, waren über Hannas’ Tun außer sich. Sie entsandten einen Boten zu Albinus, der unterwegs nach Jerusalem war, und teilten ihm mit, was sich in seiner Abwesenheit zugetragen hatte. Als Reaktion darauf schrieb Albinus einen wutentbrannten Brief an Hannas, in welchem er ihm androhte, im Augenblick seines Eintreffens mörderische Rache an ihm zu nehmen. Als Albinus endlich Jerusalem erreichte, war Hannas jedoch bereits seines Postens enthoben worden. Seinen Platz nahm nun ein Mann namens Jesus bar Damneus ein, der wiederum ein Jahr später, kurz vor Beginn des Jüdischen Aufstandes, selbst abgesetzt wurde.
Der Abschnitt über Jakobus’ Tod bei Josephus ist berühmt als frühester nichtbiblischer Bezug auf Jesus. Wie bereits erwähnt, beweist Josephus’ Gebrauch der Bezeichnung «Bruder Jesu, des sogenannten Christus, Jakobus mit Namen», dass im Jahre 94 n. Chr., als die
Altertümer
geschrieben wurden, Jesus von Nazaret bereits als Begründer einer wichtigen und dauerhaften Bewegung galt. Bei genauerer Betrachtung der Passage zeigt sich indes, dass Josephus’ eigentlicher Fokus nicht Jesus ist, welchen er als «sogenannten Christus» abtut, sondern Jakobus, dessen ungerechter Tod durch die Hand des Hohepriesters den Kern der Geschichte bildet. Dass Josephus Jesus erwähnt, ist zweifellos von Bedeutung. Die Tatsache aber, dass ein für eine römische Leserschaft schreibender jüdischer Historiker die Umstände von Jakobus’ Tod und die überwältigend negative Reaktion auf seine Hinrichtung – nicht von den Christen Jerusalems, sondern von denjenigen, «die im Rufe standen, am gerechtesten zu urteilen und die Gesetze streng einzuhalten» – in allen Einzelheiten berichtet, ist ein klarer Hinweis darauf, welch prominente Gestalt Jakobus im Palästina des 1 . Jahrhunderts war. Tatsächlich war Jakobus mehr als nur der Bruder Jesu. Er war, wie das historische Material belegt, der unangefochtene Führer der von Jesus hinterlassenen Bewegung.
Hegesippus, der zur ersten Generation von Jesu Anhängern gehörte, bestätigt in seiner fünfbändigen Geschichte der Frühkirche Jakobus’ Rolle als Haupt der christlichen Gemeinde: «Die Kirche [wurde] übernommen von den Aposteln und Jakobus, dem Bruder des Herrn, der von den Zeiten des Herrn an bis auf unsere Tage allgemein der Gerechte genannt wurde; denn es gab noch viele, die den Namen Jakobus führten.» Im nichtkanonischen
Brief des Petrus
bezeichnet der Hauptapostel Jakobus als «Herrn und Bischof der Heiligen Kirche». Clemens von Rom ( 30 – 97 n. Chr.), der Petrus in der kaiserlichen Stadt ablöste, richtet einen Brief an den «Bischof der Bischöfe, der Jerusalem regiert, die heilige Gemeinde der Hebräer und deren Gemeinden allüberall». Im Thomas-Evangelium, das nach allgemeiner Auffassung zwischen dem Ende des ersten und Anfang des zweiten Jahrhunderts entstanden ist, benennt Jesus selbst Jakobus als seinen Nachfolger: «‹Wir wissen, dass du uns verlassen wirst. Wer ist es, der groß über uns werden soll?› Jesus sprach zu ihnen: ‹Wo auch immer ihr herkommt, geht zu Jakobus, dem Gerechten, dessentwegen Himmel und Erde entstanden
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