Zelot
geglaubt hatten, Jesus würde es zu seinen Lebzeiten errichten, würde nun endlich kommen – ein Grund mehr, dafür zu sorgen, dass jene, die den abweichlerischen Lehren in Jesu Namen anhingen, in den Schoß der Familie zurückgebracht wurden.
In diesem Lichte mag Paulus’ Verhaftung in Jerusalem zwar unerwartet gewesen sein, doch angesichts der apokalyptischen Erwartungen in Jerusalem kam sie keinesfalls zur falschen Zeit und wurde sogar begrüßt. Wenn Jesus bald zurückkehrte, wäre es nicht schlecht, wenn ihn Paulus in einer Gefängniszelle erwartete, wo man ihn und seine perversen Ansichten wenigstens so lange festhalten könnte, bis Jesus sich selbst ein Urteil darüber gebildet hätte. Da die Soldaten, die die Verhaftung vornahmen, jedoch glaubten, Paulus wäre der Ägypter, schickten sie ihn unverzüglich nach Cäsarea, um ihn von dem römischen Präfekten Felix aburteilen zu lassen. Dieser hielt sich damals gerade in der Küstenstadt auf, weil zwischen den Juden der Stadt und den Syrern und Griechen ein Konflikt ausgebrochen war. Felix sprach Paulus am Ende zwar von den ihm vorgeworfenen Verbrechen des Ägypters frei, warf ihn aber trotzdem in ein Gefängnis in Cäsarea. Dort schmachtete er, bis Felix von Festus als Prokurator abgelöst wurde, auf dessen Geheiß Paulus prompt nach Rom überstellt wurde.
Festus gestattete Paulus, nach Rom zu gehen, weil dieser darauf beharrte, ein römischer Bürger zu sein. Er war in Tarsus zur Welt gekommen, einer Stadt, deren Bewohnern Marcus Antonius ein Jahrhundert zuvor die römischen Bürgerrechte zuerkannt hatte. Als Bürger hatte Paulus Anspruch auf ein ordentliches Gerichtsverfahren, und Festus, der nur eine sehr kurze und unruhige Zeit als Präfekt diente, schien ihm dies gerne gewährt zu haben – und wenn auch nur, um ihn loszuwerden.
Für Paulus mag es noch einen dringenderen Grund gegeben haben, warum er unbedingt nach Rom gehen wollte. Nach dem peinlichen Spektakel im Tempel, bei dem man ihn gezwungen hatte, alles zu widerrufen, was er jahrelang gepredigt hatte, wollte Paulus so weit fort wie möglich von Jerusalem und dem immer kürzer werdenden Gängelband, das ihm Jakobus und die Apostel um den Hals gelegt hatten. Obendrein schien Rom der perfekte Ort für Paulus zu sein. Schließlich war es die kaiserliche Metropole, die Hauptstadt des römischen Imperiums.
Bestimmt wären die hellenistischen Juden, welche die Stadt Cäsars zu ihrer Heimat erwählt hatten, empfänglich für Paulus’ unorthodoxe Lehren über Jesus Christus. In Rom gab es bereits eine kleine, aber stetig wachsende Christenschar, die dort neben einer recht ansehnlichen jüdischen Gemeinde lebte. Ein Jahrzehnt vor Paulus’ Ankunft hatten Konflikte zwischen den beiden Glaubensgemeinschaften zum Ausschluss beider Gruppen aus der Stadt durch Kaiser Claudius geführt. Als Paulus irgendwann Anfang der sechziger Jahre dort eintraf, florierten beide Gemeinden jedoch längst wieder. Die Stadt schien reif für seine Botschaft.
Obwohl Paulus in Rom offiziell unter Hausarrest stand, scheint es ihm gelungen zu, seine Tätigkeit als Prediger mehr oder weniger ungestört fortzusetzen. Nach übereinstimmenden Berichten hatte er jedoch bei der Konversion der römischen Juden nur mäßigen Erfolg. Die jüdische Bevölkerung war seiner einzigartigen Interpretation des Messias gegenüber nicht nur verschlossen, sie begegnete ihm offen feindselig. Selbst die nichtjüdischen Konvertiten scheinen Paulus nicht gerade mit offenen Armen empfangen zu haben. Dies mag daran gelegen haben, dass Paulus nicht der einzige «Apostel» war, der in der kaiserlichen Stadt von Jesus predigte. Petrus, der erste der Zwölf, war ebenfalls in Rom.
Petrus war einige Jahre vor Paulus wahrscheinlich auf Jakobus’ Geheiß nach Rom gekommen, um eine stabile Gemeinde Griechisch sprechender, jüdischer Gläubiger im Herzen des römischen Imperiums aufbauen zu helfen. Diese Gemeinde sollte unter dem Einfluss der Jerusalemer Urgemeinde stehen und gemäß deren Doktrin unterrichtet werden. Kurz: eine Anti-Paulus-Gemeinde. Es lässt sich nicht genau sagen, wie erfolgreich Petrus vor Paulus’ Eintreffen mit dieser Aufgabe war. Der Apostelgeschichte zufolge aber reagierten die Hellenisten in Rom derart negativ auf Paulus’ Predigten, dass er beschloss, sich ein für alle Mal von den Juden loszusagen, «denn das Herz dieses Volkes ist verstockt und ihre Ohren hören schwer und ihre Augen sind geschlossen, damit sie nicht etwa mit
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