Zelot
andere Familienmitglieder, darunter die Enkel von Jesu anderem Bruder Judas, im gesamten 1 . und 2 . Jahrhundert eine aktive Führungsrolle beibehielten.
Im 3 . und 4 . Jahrhundert indes, als sich das Christentum von einer heterogenen jüdischen Bewegung mit einer Vielzahl von Sekten und Schismen zu einer institutionalisierten und streng orthodoxen Religion Roms entwickelte, wurde Jakobus’ Eigenschaft als Bruder Jesu zu einem Hindernis für diejenigen, welche die «fortwährende Jungfräulichkeit» seiner Mutter Maria propagierten. Man ersann ein paar überschlaue Lösungen, um die unleugbaren Fakten von Jesu Familie mit dem unflexiblen Dogma der Kirche in Einklang zu bringen. Zu nennen wäre beispielsweise die ausgetretene und durch und durch ahistorische Behauptung, Jesu Brüder und Schwestern wären Josefs Kinder aus einer früheren Ehe gewesen, oder dass «Bruder» tatsächlich «Vetter» bedeutete. Das Endergebnis war jedoch, dass Jakobus’ Rolle in der Frühkirche immer weiter kleingeredet wurde.
Mit Jakobus’ schwindendem Einfluss gewann Petrus an Bedeutung. Das imperiale Christentum forderte, wie das Imperium selbst, eine transparente Machtstruktur, vorzugsweise mit Hauptsitz in Rom, nicht in Jerusalem, und mit einer direkten Verbindung zu Jesus. Petrus’ Rolle als erster Bischof Roms und sein Status als Hauptapostel machten ihn zur idealen Figur, auf der sich die Autorität der römischen Kirche gründen ließ. Die Bischöfe, die Petrus in Rom nachfolgten (und schließlich zu unfehlbaren Päpsten wurden), rechtfertigten die Autoritätskette, auf die sie sich beriefen, um ihre Macht in einer stetig wachsenden Kirche zu sichern, mit jener berühmten Stelle im Matthäus-Evangelium, bei der Jesus zu dem Apostel sagt: «Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.» (Mt 16 , 18 )
Das Problem mit diesem heftig umstrittenen Vers, den die meisten Wissenschaftler als unhistorisch verwerfen, ist nicht nur, dass er die einzige Stelle im gesamten Neuen Testament darstellt, an der Petrus zum Kirchenführer bestimmt wird. Vielmehr ist es überhaupt das einzige Mal, dass Petrus in einem frühen geschichtlichen – biblischen oder nichtbiblischen – Dokument als Nachfolger Jesu und Führer der von ihm zurückgelassenen Gemeinde genannt wird. Im Gegensatz dazu gibt es mindestens ein Dutzend Stellen, an denen Jakobus diese Rolle zugesprochen wird. Was an historischen Aufzeichnungen über Petrus’ Rolle im frühen Christentum existiert, bezieht sich ausschließlich auf seine Führerschaft der Gemeinde in Rom. Diese war zwar sicherlich eine bedeutende, jedoch nur eine von vielen Gemeinden, die der übergeordneten Autorität der Jerusalemer Gemeinde unterstanden, der «Urgemeinde». Mit anderen Worten: Petrus war zwar Bischof von Rom, aber Jakobus war «Bischof der Bischöfe».
Es gibt aber noch einen weitaus interessanteren Grund für Jakobus’ sinkende Bedeutung im Urchristentum, der weniger mit seiner Eigenschaft als Bruder Jesu oder seinem Verhältnis zu Petrus, sondern mit seinen Überzeugungen und seinem Widerstand gegen Paulus zu tun hat. Wofür Jakobus in der frühchristlichen Gemeinde stand, ist zu einem gewissen Grad bereits durch sein Wirken in der Apostelgeschichte und seine theologischen Unstimmigkeiten mit Paulus deutlich geworden. Ein weitaus besseres Verständnis seiner Ansichten findet sich in seinem oft übersehenen und viel geschmähten Brief (dem Jakobusbrief), der etwa zwischen 80 und 90 n. Chr. verfasst wurde.
Offensichtlich stammt dieser Brief nicht von Jakobus selbst. Wie sein Bruder Jesus und die meisten Apostel war auch er ein des Lesens und Schreibens unkundiger Bauer ohne formale Bildung. Der Jakobusbrief wurde vermutlich von jemandem geschrieben, der zu seinem engeren Kreis gehörte. Dies trifft im Übrigen auf beinahe sämtliche Bücher des Neuen Testaments zu, darunter auch auf die Evangelien von Markus, Matthäus und Johannes sowie auf einen guten Teil der Paulusbriefe (Kolosser, Epheser, 2 . Thessalonicher, 1 . und 2 . Timotheus und Titus). Wie bereits erwähnt, war es gang und gäbe, ein Buch nach einer bedeutenden Persönlichkeit zu benennen, um dieser Respekt zu zollen und deren Ansichten darzulegen. Jakobus mag seinen eigenen Brief nicht selbst geschrieben haben, doch spiegelt er zweifellos seine Überzeugung wider (man hält den Brief für die redigierte und
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