Zelot
schenken, sondern nur ihm selbst: «Wer euch ein anderes Evangelium verkündigt, als ihr angenommen habt, der sei verflucht» (Gal 1 , 9 ). Selbst wenn «ein Engel vom Himmel» eine solche Botschaft bringe, solle die Gemeinde ihn ignorieren, schreibt Paulus (Gal 1 , 8 ). Stattdessen solle sie nur Paulus allein gehorchen: «Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme.» ( 1 Kor 11 , 1 )
Paulus ist verbittert und fühlt sich an die Autorität des Jakobus und der Apostel in Jerusalem nicht länger gebunden («was sie früher waren, kümmert mich nicht»). In den folgenden Jahren verbreitet er ungehindert seine Doktrin von Jesus als Christus. Ob Jakobus und die Apostel in Jerusalem über Paulus’ Aktivitäten während dieser Zeit in vollem Umfang Bescheid wussten, ist strittig. Schließlich verfasste Paulus seine Briefe in Griechisch, also einer Sprache, die weder Jakobus noch die Apostel lesen konnten. Hinzu kam, dass Barnabas, die einzige Verbindung zu Jakobus, Paulus aus unklaren Gründen kurz nach dem Apostelkonzil verlassen hatte (wenngleich erwähnt werden sollte, dass Barnabas ein Levit war und als solcher das jüdische Gesetz strikt befolgte). Wie dem auch sei – im Jahre 57 n. Chr. ließen sich die Gerüchte um Paulus’ Lehren jedenfalls nicht länger ignorieren. Daher bestellte man ihn erneut nach Jerusalem ein, damit er sich verantworte.
Diesmal wendet sich Jakobus direkt an Paulus und teilt ihm mit, es sei ihnen zu Ohren gekommen, dass Paulus Gläubigen lehre, «von Mose abzufallen», und sie auffordere, «ihre Kinder nicht zu beschneiden und sich nicht an die Bräuche [des Gesetzes] zu halten (Apg 21 , 21 ). Paulus nimmt zu dieser Anschuldigung nicht Stellung, obwohl es exakt das ist, was er predigt. Er ist sogar so weit gegangen, zu behaupten, dass diejenigen, die sich beschneiden ließen, «mit Christus nichts mehr zu tun» hätten (Gal 5 , 2 – 4 ). Um die Angelegenheit ein für alle Mal zu klären, zwingt Jakobus Paulus, zusammen mit vier anderen Männern an einem strengen Reinigungsritual im Tempel teilzunehmen – demselben Tempel, der Paulus zufolge durch das Blut Jesu ersetzt worden ist: «So wird jeder einsehen, dass an dem, was man von dir erzählt hat, nichts ist, sondern dass auch du das Gesetz genau beachtest.» (Apg 21 , 24 )
Paulus gehorcht; er scheint in der Sache keine andere Wahl zu haben. Doch als er das Ritual gerade vollendet, wird er von einer Gruppe tiefgläubiger Juden erkannt. «Israeliten!», schreien sie. «Kommt zu Hilfe! Das ist der Mensch, der in aller Welt Lehren verbreitet, die sich gegen das Volk und das Gesetz und gegen diesen Ort richten.» (Apg 21 , 27 – 28 ) Da fällt eine aufgebrachte Menge über Paulus her. Sie ergreifen ihn und zerren ihn aus dem Tempel. Als sie ihn gerade totschlagen wollen, erscheint plötzlich eine Gruppe römischer Soldaten. Die Soldaten lösen den Tumult auf und nehmen Paulus in Gewahrsam – nicht wegen der Unruhe im Tempel, sondern, weil sie ihn fälschlicherweise für jemand anderen halten. «Dann bist du also nicht der Ägypter, der vor einiger Zeit die 4000 Sikarier aufgewiegelt und in die Wüste hinausgeführt hat?», fragt ein Offizier Paulus. (Apg 21 , 38 )
Es scheint, als hätte Paulus im Jahre 57 zu keiner chaotischeren Zeit in Jerusalem eintreffen können. Ein Jahr zuvor hatten die Sikarier ihre Schreckensherrschaft begonnen und den Hohepriester Jonatan ermordet. Nun brachten sie gezielt die Mitglieder des priesterlichen Adels um, brannten ihre Häuser nieder, kidnappten ihre Familien und säten Angst in den Herzen der Juden. Die messianische Stimmung in Jerusalem war auf dem Siedepunkt. Einer nach dem anderen waren selbsternannte Messiasse aufgetreten, um die Juden vom Joch Roms zu befreien. Der Wunder wirkende Theudas war wegen seiner messianischen Ambitionen bereits von Rom zum Schweigen gebracht worden. Die rebellischen Söhne von Judas dem Galiläer, Jakob und Simon, hatte man gekreuzigt. Der Bandenführer Eleasar, Sohn des Dinaios, der die ländlichen Gebiete unsicher gemacht hatte, war vom römischen Präfekten Felix gefangen und enthauptet worden. Dann war plötzlich der Ägypter auf dem Ölberg aufgetaucht und hatte geschworen, er könne auf sein Geheiß die Mauern Jerusalems zum Einsturz bringen.
Für Jakobus und die Apostel in Jerusalem konnte dieser ganze Aufruhr nur eines bedeuten: Das Ende war nahe; bald würde Jesus zurückkehren. Das Königreich Gottes, von dem sie
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