Zelot
uneinnehmbaren Festung Masada, doch alles, was sie dort antrafen, war eine geisterhafte Stille: neunhundertsechzig tote Männer, Frauen und Kinder. Der Krieg war vorbei.
Es fragt sich nur, warum er so lange gedauert hat.
Die Nachricht vom Jüdischen Aufstand hatte Kaiser Nero schnell erreicht, und er befahl sofort einem seiner zuverlässigsten Männer, nämlich Titus Flavius Vespasianus, Jerusalem zurückzuerobern. An der Spitze eines gewaltigen Heeres mit über 60 000 Soldaten brach Vespasian sofort nach Syrien auf, während sein Sohn Titus nach Ägypten ging, um die in Alexandria stationierten römischen Legionen zu mobilisieren. Er sollte sie durch Idumäa nach Norden führen, während sein Vater vom Norden her nach Galiläa vordrang. So wollten sie die Juden in die Zange nehmen und die Rebellion praktisch zerquetschen.
Eine nach der anderen beugten sich die aufständischen Städte der Macht Roms. Titus und Vespasian zogen eine Spur der Verwüstung durch das Heilige Land. Im Jahr 68 n. Chr. waren ganz Galiläa sowie Samarien, Idumäa, Peräa und die gesamte Region um das Tote Meer außer Masada wieder fest in römischer Hand. Vespasian musste seine Heere nur noch nach Judäa hineinschicken, um den Ausgangspunkt der Rebellion zu vernichten: Jerusalem.
Doch während der Vorbereitungen für diesen letzten Angriff erhielt Vespasian die Nachricht, dass Nero sich das Leben genommen hatte. Rom war in Aufruhr. In der Hauptstadt tobte ein Bürgerkrieg. Im Laufe einiger weniger kurzer Monate riefen sich drei Männer – Galba, Otho und Vitellius – nacheinander zum Kaiser aus und wurden jeweils von ihrem Nachfolger gewaltsam gestürzt. Gesetz und Ordnung in Rom brachen völlig zusammen, Diebe und Randalierer raubten die Bevölkerung aus, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Seit dem Krieg zwischen Octavian und Marcus Antonius 100 Jahre zuvor hatten die Römer nicht mehr solche inneren Unruhen erlebt. Tacitus beschrieb sie als eine Zeit «reich an Katastrophen, schrecklich an Schlachten, zerrissen von inneren Kämpfen, entsetzlich selbst im Frieden».
Angespornt von den Legionären unter seinem Kommando unterbrach Vespasian seinen Feldzug in Judäa und eilte nach Rom, um selbst Ansprüche auf den Thron anzumelden. Die Eile war offenbar unbegründet. Lange bevor er die Hauptstadt im Sommer 70 n. Chr. erreichte, hatten seine Unterstützer schon die Kontrolle übernommen, seine Rivalen ermordet und Vespasian zum alleinigen Kaiser ausgerufen.
Doch das Rom, als dessen Herrscher Vespasian sich jetzt wiederfand, hatte einen tiefen Wandel durchgemacht. Durch die massiven inneren Unruhen hatte sich im Volk eine tiefe Bestürzung und Unsicherheit angesichts der schwindenden römischen Macht ausgebreitet. Vor allem die Situation im fernen Judäa war ärgerlich. Schlimm genug, dass die unbedeutenden Juden überhaupt einen Aufstand gewagt hatten; unfassbar aber, dass die Rebellion nach drei langen Jahren noch immer nicht niedergeschlagen war. Natürlich revoltierten auch andere unterworfene Völker. Aber hier ging es nicht um Gallier oder Briten; hier ging es um abergläubische Kleinbauern, die mit Steinen warfen. Die Größenordnung des Jüdischen Aufstands und die Tatsache, dass er zu einer Zeit tiefer sozialer und politischer Verwerfungen in Rom stattfand, hatten eine Art Identitätskrise in der römischen Bürgerschaft ausgelöst.
Vespasian wusste, dass er die Aufmerksamkeit der Römer von ihren heimischen Schwierigkeiten auf eine spektakuläre Eroberung lenken musste, um seine Herrschaft zu konsolidieren und das Entsetzen, das Rom befallen hatte, in den Griff zu bekommen. Ein kleiner Sieg war da nicht genug. Was der Kaiser brauchte, war die vernichtende Niederlage eines Feindes. Er brauchte einen Triumph: eine sagenhafte Inszenierung römischer Macht, das volle Programm mit Gefangenen, Sklaven und Kriegsbeute, um seine Bürger für sich zu gewinnen und seine Untertanen wieder das Fürchten zu lehren. Und so machte sich Vespasian also sofort nach der Thronbesteigung daran, die Aufgabe zu erledigen, die er in Judäa unvollendet gelassen hatte. Er würde den Jüdischen Aufstand nicht einfach niederwerfen; das wäre zu wenig. Er würde die Juden ausrotten. Er würde sie vom Angesicht der Erde tilgen. Ihr Territorium verheeren. Ihren Tempel niederbrennen. Ihren Kult vernichten. Ihren Gott töten.
Von Rom aus befahl Vespasian seinem Sohn Titus, sofort Jerusalem anzugreifen und keine Kosten und Mühen zu scheuen, um
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