Zelot
die ganz Jerusalem zu verschlingen drohten, weiter anheizte. Nachdem die Gemäßigten mundtot gemacht worden waren, gab es jetzt drei große Lager, die einander die Kontrolle über die Stadt streitig machten. Während die Zelotenpartei, etwa 2500 Männer, den inneren Hof des Tempels besetzt hielt, fielen die äußeren Höfe dem früheren Anführer des Aufstands in Gischala in die Hände, einem wohlhabenden Bürger namens Johannes, der nur knapp der Zerstörung seiner Heimatstadt durch die Römer entkommen war.
Zunächst schlug sich Johannes von Gischala auf die Seite der Zelotenpartei, mit der er die Hingabe an die religiösen Prinzipien der Revolution teilte. Ob man Johannes selbst als Zeloten bezeichnen kann, ist schwer zu sagen. Zweifellos war er ein glühender Nationalist mit einem tiefen Hass auf Rom, und das zu einer Zeit, in der nationale Gefühle und messianische Erwartung untrennbar miteinander verbunden waren. Er ließ sogar die heiligen Gefäße des Tempels einschmelzen und daraus Kriegsgerät herstellen, mit dem er die Heere Roms bekämpfen wollte. Doch ein Streit um die Kontrolle über den Tempel führte schließlich zum Bruch mit der Zelotenpartei und zur Bildung einer eigenen Koalition, die aus etwa 6000 Kämpfern bestand.
Das dritte und größte Rebellenlager in Jerusalem wurde von Simon bar Giora angeführt, einem der Bandenchefs, die den ersten Angriff auf Jerusalem unter Cestius Gallus zurückschlugen. Simon hatte das erste Jahr des Jüdischen Aufstands damit verbracht, durch Judäa zu ziehen, die Ländereien der Reichen zu plündern, Sklaven zu befreien und sich einen Namen als Verteidiger der Armen zu machen. Nach einem kurzen Aufenthalt bei den Sikariern in Masada kam Simon mit einer großen, ihm persönlich unterstehenden Armee von 10 000 Mann nach Jerusalem. Zuerst hieß ihn die Stadt freudig willkommen. Man hoffte, dass er die Exzesse der Zelotenpartei dämpfen und Johannes von Gischala, der immer autoritärer auftrat, die Flügel stutzen werde. Simon gelang es zwar nicht, seinen Rivalen den Tempel zu entwinden, aber er schaffte es immerhin, die Ober- und die Unterstadt weitgehend unter seine Kontrolle zu bringen.
Simon unterschied sich jedoch dadurch deutlich von den anderen Rebellenführern in Jerusalem, dass er sich von der ersten Minute an unverfroren als Messias und König präsentierte. Wie Manaim vor ihm kleidete Simon sich in königliche Gewänder und stolzierte als ihr Erretter durch die Stadt. Er erklärte sich selbst zum «Herrn von Jerusalem» und nutzte seine Stellung als von Gott Gesalbter, um die Juden der Oberschicht, die er des Verrats beschuldigte, zusammenzutreiben und hinzurichten. Daraufhin wurde Simon bar Giora schließlich als Oberkommandierender der zuvor zersplitterten Rebellion anerkannt – und das gerade noch rechtzeitig. Denn während Simon noch dabei war, seine Position gegenüber den anderen Rebellengruppen zu festigen, tauchte schon Titus vor den Stadttoren auf und verlangte mit vier römischen Legionen im Rücken die sofortige Übergabe.
Schnell wichen die inneren Querelen unter den Juden hektischen Vorbereitungen auf den drohenden römischen Angriff. Aber Titus hatte keine Eile mit der Erstürmung der Stadt. Vielmehr ließ er seine Männer eine Mauer aus Steinen rings um Jerusalem errichten, die die Bewohner einschloss und jeden Zugang zu Nahrung und Wasser verhinderte. Dann schlug er sein Lager auf dem Ölberg auf, von wo aus er eine ungehinderte Sicht auf die Stadt und ihre Bewohner hatte, die langsam verhungerten.
Die Hungersnot war entsetzlich. Ganze Familien gingen in ihren Häusern zugrunde. Die Straßen waren voller Leichen; es fehlten der Platz und die Kraft, die Toten anständig zu begraben. Die Einwohner von Jerusalem durchwühlten die Kanalisation auf den Knien nach Essbarem. Sie aßen Kuhmist und dürres Gras. Sie kauten das Leder ihrer Gürtel und Schuhe. Es gab sogar vereinzelte Berichte über Juden, die der Versuchung erlegen waren und die Toten verspeist hatten. Wer aus der Stadt zu fliehen versuchte, wurde gefangen genommen und auf dem Ölberg für alle deutlich sichtbar gekreuzigt.
Titus hätte einfach zusehen können, wie die Menschen zugrunde gingen. Er hätte sein Schwert gar nicht zu ziehen brauchen, um Jerusalem zu schlagen und den Aufstand zu beenden. Aber dazu hatte sein Vater ihn nicht dorthin geschickt. Seine Aufgabe bestand nicht darin, die Juden so lange auszuhungern, bis sie sich ergaben; er sollte sie aus dem Land
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