Zelot
Bemühen, durch die Bestechung römischer Beamter Macht und Einfluss zu gewinnen, den Zerfall der Gesellschaftsordnung mit zu verantworten. Und zweifellos spielte das Führungspersonal des Tempels eine Rolle, indem es das weit verbreitete Gefühl der ungerechten Behandlung nährte und die erdrückende Armut provozierte, die so vielen Juden keine andere Wahl ließ als die Gewalt. Wenn man zu all diesem noch die Enteignung von Privatland, die weit verbreitete Arbeitslosigkeit, die Vertreibung und erzwungene Urbanisierung der Kleinbauern und die Dürren und Hungersnöte nahm, die in Judäa und Galiläa weite Landstriche verheerten, war es nur eine Frage der Zeit, bis das Feuer der Rebellion ganz Palästina erfassen würde. Es fehlte nur noch eine Provokation, und sei sie noch so klein, und die ganze jüdische Nation würde in einer offenen Revolte explodieren – und der Statthalter war dumm genug, diese Provokation zu liefern.
Im Mai 66 n. Chr. erklärte Florus plötzlich, dass die Juden Rom 100 000 Denare an noch nicht gezahlten Steuern schuldeten. Mit einer Armee Leibwächter drang er in den Tempel ein und ließ die Schatzkammer öffnen. Er raubte das Geld, das die Juden Gott als Opfer dargebracht hatten. Als daraufhin ein Tumult losbrach, schickte Florus etwa 1000 römische Soldaten in die Oberstadt, wo sie wahllos Männer, Frauen und Kinder töteten. Sie drangen in die Häuser ein und ermordeten die Menschen in ihren Betten. Die Stadt versank im Chaos. Es drohte ein offener Krieg.
Um die Situation zu beruhigen, schickten die Römer den Juden einen der Ihren: Agrippa II ., dessen Vater Agrippa I. es geschafft hatte, seine Beliebtheit als jüdischer Anführer zu wahren und gleichzeitig eine enge Beziehung zu Rom zu pflegen. Der Sohn erreichte zwar nicht die Popularität seines verstorbenen Vaters, aber er war das Beste, was die Römer zu bieten hatten, um die angespannte Situation in Jerusalem zu entschärfen.
Der junge Agrippa eilte in die Heilige Stadt in einem allerletzten Versuch, einen Krieg noch einmal abzuwenden. Er stellte sich, seine Schwester Berenike an seiner Seite, auf das Dach des Königspalastes und bat die Juden, die Situation realistisch zu sehen. «Werdet Ihr dem ganzen Römischen Reich trotzen?», fragte er. «Auf welche Armee, auf welche Waffen stützt ihr euch? Wo ist die Flotte, mit der ihr die römischen Meere erobert? Wo ist die Kriegskasse, mit der ihr eure Feldzüge finanziert? Glaubt ihr denn, dass ihr gegen Ägypter oder Araber in den Krieg ziehen werdet? Verschließt ihr eure Augen vor der Macht des Römischen Reiches? Werdet ihr nicht eure eigene Schwäche vorgeführt bekommen? Seid ihr reicher als die Gallier, stärker als die Germanen, intelligenter als die Griechen, zahlreicher als all die Völker der Welt? Woher nehmt ihr das Selbstvertrauen, den Römern die Stirn zu bieten?»
Natürlich hatten die Revolutionäre eine Antwort auf Agrippas Frage. Es war der Glaubenseifer, der sie anspornte. Eben jener Eifer, der die Makkabäer zwei Jahrhunderte zuvor dazu befeuert hatte, die Seleukidenherrschaft abzuschütteln, der den Israeliten geholfen hatte, das Gelobte Land überhaupt erst zu erobern, jener Eifer sollte dieser zusammengewürfelten Truppe jüdischer Revolutionäre erlauben, die Fesseln der römischen Besatzung abzuwerfen.
Die Menschen lachten Agrippa und Berenike aus und kümmerten sich nicht weiter um sie. Die Geschwister mussten aus der Stadt fliehen. Bis zu diesem Moment hätte ein Krieg mit Rom jedoch immer noch vermieden werden können, wenn nicht ein junger Mann namens Eleasar gehandelt hätte, der als Tempelhauptmann die Macht besaß, Störungen in der Umgebung des Tempels zu unterbinden. Unterstützt von einer Gruppe einfacher Priester riss Eleasar die Kontrolle über den Tempel an sich und beendete die täglichen Opfer für den Kaiser. Das Signal an Rom war klar: Jerusalem hatte seine Unabhängigkeit erklärt. Innerhalb kurzer Zeit sollten der Rest von Judäa und Galiläa, Idumäa und Peräa, Samarien und alle Dörfer im Jordantal folgen.
Manaim und die Sikarier eilten dem Tempelhauptmann zu Hilfe. Gemeinsam vertrieben sie alle Nichtjuden aus Jerusalem, wie die Schriften es forderten. Sie spürten den Hohepriester auf, der bei Beginn der Kämpfe sofort in Deckung gegangen war, und töteten ihn. Dann steckten sie in einem höchst symbolischen Akt das öffentliche Archiv in Brand. Die Kontobücher der Schuldeneintreiber und Geldverleiher, die Besitzurkunden
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