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Zelot

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Titel: Zelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reza Aslan
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«Wer den Namen des Herrn schmäht, wird mit dem Tod bestraft;
die ganze Gemeinde soll ihn steinigen
.» ( 3  Mos  24 , 16 ) Das ist die Strafe, die Stephanus für seine Blasphemie erleidet, als er Jesus den Menschensohn nennt (Apg  7 , 1 – 60 ). Stephanus wird nicht den römischen Machthabern überstellt, um sich für sein Verbrechen zu verantworten; er wird auf der Stelle gesteinigt. Es mag stimmen, dass unter der Herrschaft der Römer die Juden nicht das Recht hatten, Verbrecher hinzurichten (wobei sie das nicht daran hinderte, Stephanus zu töten). Aber man kann das fundamentale Faktum, mit dem wir begonnen haben, nicht außer Acht lassen: Jesus ist nicht von den Juden wegen Blasphemie gesteinigt worden; er ist von den Römern wegen Aufwiegelung des Volkes zum Aufstand gekreuzigt worden.
    Genau wie ein Körnchen Wahrheit in der Geschichte von Jesu Prozess vor Pilatus stecken mag, so könnte auch die Geschichte des Prozesses vor dem Sanhedrin ein Körnchen Wahrheit enthalten. Die jüdischen Obrigkeiten verhafteten Jesus, weil sie ihn als Bedrohung ihrer Kontrolle über den Tempel wie auch als Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung in Jerusalem sahen, für deren Aufrechterhaltung sie ihrer Übereinkunft mit Rom zufolge verantwortlich waren. Weil die jüdischen Obrigkeiten technisch nicht für Kapitalverbrechen zuständig waren, überstellten sie Jesus den Römern, vor denen er sich für seine aufrührerischen Lehren verantworten sollte. Die persönliche Beziehung zwischen Pilatus und Kajaphas vereinfachte die Überstellung vielleicht, doch man brauchte sicher wenig Überredungskunst, um die römischen Machthaber dazu zu bringen, noch einen weiteren jüdischen Aufwiegler hinzurichten.
    Pilatus macht mit Jesus dasselbe wie mit allen, die die gesellschaftliche Ordnung bedrohen: Er schickt ihn ans Kreuz. Ein Prozess findet nicht statt, er ist nicht nötig. Es ist schließlich Pascha, immer eine Zeit gesteigerter Spannungen in Jerusalem. Die Stadt platzt aus allen Nähten vor lauter Pilgern, schon die kleinste Andeutung von Ärger muss im Keim erstickt werden. Und was immer Jesus auch sein mag, Ärger bedeutet er auf alle Fälle.
    Nachdem sein Verbrechen in Pilatus’ Akten festgehalten war, wurde Jesus sicher zur Burg Antonia hinausgeführt und auf den Hof gebracht, wo er nackt an einen Pfahl gebunden und brutal gegeißelt wurde, wie es bei allen zum Kreuz Verurteilten üblich war. Dann brachten die Römer einen Querbalken in seinem Genick an und hakten seine Arme nach hinten darüber – auch das war so üblich –, sodass der Messias, der versprochen hatte, die Juden vom Joch der Besatzung zu befreien, jetzt selbst ein Joch trug wie ein Schlachttier.
    Wie alle zur Kreuzigung Verurteilten wurde Jesus sicher gezwungen, den Querbalken selbst zu einem Hügel vor den Mauern Jerusalems zu tragen, direkt an der Straße, die zu einem Stadttor führte – vielleicht an eben der Straße, auf der er ein paar Tage zuvor als ihr rechtmäßiger König in die Stadt eingezogen war. So hatten die Pilger, die zu den heiligen Feiern nach Jerusalem kam, gar keine andere Wahl: Sie wurden zwangsläufig Zeugen seines Leidens und so daran erinnert, was mit denen geschah, die sich der Herrschaft Roms widersetzten. Der Querbalken wurde an einem Gerüst oder einem Pfahl angebracht und Jesu Hand- und Fußgelenke mit drei Eisennägeln daran genagelt. Ein Ruck, und das Kreuz wurde in die Senkrechte gezogen. Der Tod ließ sicher nicht lange auf sich warten. Innerhalb einiger weniger Stunden versagten die Lungen, der Atem setzte aus.
    So fand der Messias, der als Jesus von Nazaret bekannt war, auf einem kahlen, mit Kreuzen übersäten Hügel, gequält durch die Schmerzensschreie und das Stöhnen Hunderter sterbender Verbrecher, mit einem Krähenschwarm über sich, der gierig auf seinen letzten Atemzug wartete, das gleiche schmachvolle Ende wie alle anderen Messiasse vor und nach ihm.
    Doch anders als all jene anderen geriet dieser nicht in Vergessenheit.

[zur Inhaltsübersicht]
    TEIL III
    Auf dem Zion stoßt in das Horn,
    schlagt Lärm auf meinem heiligen Berg!
    Alle Bewohner des Landes sollen zittern;
    denn es kommt der Tag des Herrn,
    ja, er ist nahe,
    der Tag des Dunkels und der Finsternis,
    der Tag der Wolken und Wetter.
    Joel  2 , 1 – 2

Prolog
Gott in Fleischesgestalt
    Stephanus – jener, der von einer wütenden Menge Juden wegen Blasphemie gesteinigt wurde – war der erste Anhänger Jesu, der nach dessen Kreuzigung

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