Zelot
finanzieren) –, wird also dieser Präfekt durch die Forderungen der renitenten Menge
gezwungen
, Jesus preiszugeben.
Als Pilatus ihn schließlich zur Kreuzigung überstellt, räumt Jesus selbst alle Zweifel darüber aus, wer wirklich für seinen Tod verantwortlich ist: «[Es] liegt größere Schuld bei dem, der mich dir ausgeliefert hat», erklärt er dem Pilatus und spricht ihn persönlich von jeder Schuld frei, indem er direkt die jüdischen religiösen Obrigkeiten verantwortlich macht. Und dann fügt Johannes noch eine letzte, unverzeihliche Beleidigung für eine jüdische Nation hinzu, die zu der Zeit kurz vor einer großen Revolte stand, indem er ihnen den übelsten, den blasphemischsten Satz reiner Häresie in den Mund legt, den ein Jude im Palästina des 1 . Jahrhunderts überhaupt von sich geben konnte. Auf die Frage des Pilatus, was er denn mit «ihrem König» tun solle, antworten die Juden: «Wir haben keinen König außer dem Kaiser!» (Joh 19 , 1 – 16 )
So wird eine Geschichte, die sich Markus zu rein «verkündigungstechnischen» Zwecken ausgedacht hat, um die Schuld an Jesu Tod von Rom wegzuschieben, im Laufe der Zeit bis ins Absurde überdehnt und bietet dann den Ansatz für 2000 Jahre christlichen Antisemitismus.
Völlig unvorstellbar ist es natürlich nicht, dass Jesus eine kurze Audienz beim römischen Statthalter bekam – das setzte aber voraus, dass die Größe seines Verbrechens eine besondere Aufmerksamkeit rechtfertigte. Jesus war schließlich nicht einfach ein Querulant. Sein provokanter Einzug in Jerusalem mit einer großen Anhängerschar, die ihn zum König erklärte, seine Störung der öffentlichen Ordnung im Tempel, die Größe des Trupps, der nach Getsemani hinausmarschierte, um ihn festzunehmen – all dies lässt vermuten, dass die Machthaber Jesus von Nazaret als eine ernste Bedrohung der Stabilität und Ordnung in Judäa wahrnahmen. Ein solcher «Verbrecher» war vielleicht doch der Aufmerksamkeit des Pilatus würdig. Falls also Jesus tatsächlich einen Prozess bekommen haben sollte, war der sicher kurz und routinemäßig, mit dem einzigen Zweck, die Anklagen, deretwegen er hingerichtet werden würde, offiziell festzuhalten. Daher stellt Pilatus Jesus in allen vier Evangelien auch nur eine Frage: «Bist du der König der Juden?»
Wenn die Evangeliumsgeschichte ein Drama wäre (und im Grunde ist sie das), wäre Jesu Antwort auf diese Frage des Pilatus die Peripetie, die schon auf die Lösung, die Katastrophe des Stückes hindeutet: die Kreuzigung. Dies ist der Moment, in dem Jesus den Preis für alles zahlen muss, was er in den letzten drei Jahren gesagt und getan hat: die Angriffe auf die priesterlichen Obrigkeiten, die Verdammung der römischen Besatzung, die Ansprüche auf königliche Autorität. Das alles hat unausweichlich auf diesen Moment des Urteils hingeführt, genau wie Jesus vorausgesagt hatte. Von hier an gibt es nur noch das Kreuz und das Grab.
Und doch ist vielleicht kein anderer Moment im kurzen Leben Jesu undurchschaubarer und den Fachleuten unzugänglicher als dieser. Das hat zum einen mit den vielfältigen Quellen zu tun, auf denen die Geschichte von Jesu Prozess und Kreuzigung beruht. Markus war zwar das erste schriftlich festgehaltene Evangelium, aber es gab vorher schon Sammlungen mündlicher und schriftlicher Überlieferungen zu Jesus, die seine frühesten Anhänger weitergegeben hatten. Eine dieser Sammlungen haben wir schon vorgestellt: das nur in den Evangelien des Matthäus und des Lukas enthaltene Material, das die Wissenschaftler Logienquelle oder einfach Q nennen. Es gibt aber durchaus Grund zu der Annahme, dass es vor dem Markus-Evangelium noch weitere Sammlungen gab, die sich ausschließlich mit Jesu Tod und Auferstehung beschäftigten. Diese sogenannten Passionserzählungen formten eine grundlegende Abfolge von Ereignissen, die nach Überzeugung der ersten Christen am Ende von Jesu Leben stattfanden: Das Letzte Abendmahl. Der Verrat des Judas Iskariot. Die Verhaftung in Getsemani. Das Erscheinen vor dem Hohepriester und Pilatus. Die Kreuzigung und Beisetzung. Die Auferstehung drei Tage später.
Diese Ereignisfolge enthielt eigentlich kein Narrativ, sondern war zu rein liturgischen Zwecken so entworfen worden. Sie diente den frühen Christen dazu, die letzten Tage ihres Messias durch das Ritual nachzuvollziehen, indem sie zum Beispiel das gleiche Mahl teilten, das er mit seinen Jüngern geteilt hatte, dieselben Gebete sprachen, die er
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