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Zelot

Zelot

Titel: Zelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reza Aslan
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eigener Kraft sein Grab verlassen hatte; nicht als Erscheinung oder Geist, sondern als Mensch aus Fleisch und Blut.
    Was diese Anhänger Jesu da behaupteten, war damals alles andere als gang und gäbe. Vorstellungen von der Auferstehung der Toten fanden sich natürlich auch bei den alten Ägyptern und Persern. Die Griechen glaubten an die Unsterblichkeit der Seele, wenngleich nicht an die des Körpers. Manche Götter – zum Beispiel Osiris – hielt man für gestorben und wieder auferstanden. Manche Männer – Julius Cäsar, Cäsar Augustus – wurden nach ihrem Tode zu Göttern. Doch der Gedanke, dass ein Einzelner starb und in Fleisch und Blut zu ewigem Leben wieder auferstand, war in der antiken Welt extrem selten und im Judentum praktisch nicht existent.
    Und doch verkündeten diese Anhänger Jesu nicht nur, er sei von den Toten auferstanden, sondern obendrein, dass seine Auferstehung seinen Status als Messias bestätige – eine außerordentliche Behauptung, die in der jüdischen Geschichte ohne Beispiel war. Ungeachtet zweier Jahrtausende christlicher Apologie ist es eine Tatsache, dass der Glaube an einen sterbenden und auferstehenden Messias im Judentum nicht existierte. In der gesamten Hebräischen Bibel gibt es nicht eine einzige Stelle oder Prophezeiung über den versprochenen Messias, die auch nur einen Hinweis auf dessen schmachvollen Tod gäbe, geschweige denn auf seine körperliche Wiederauferstehung.
    Der Prophet Jesaja spricht von einem erhabenen, «gerechten Knecht», der «die Sünden von vielen» trägt und «für die Schuldigen» eintritt (Jes  52 , 13 – 53 , 12 ). Jesaja identifizierte diesen namenlosen Knecht jedoch nie als den Messias, noch behauptete er, dieser sei von den Toten auferstanden. Der Prophet Daniel erwähnt einen «Gesalbten» (also den Messias), der «umgebracht» wird, «aber ohne (Richterspruch)» (Dan  9 , 26 ). Daniels Gesalbter wird (nach der Auslegung durch Jesu Anhänger) jedoch nicht getötet; er wird lediglich vom «Volk eines Fürsten» abgesetzt, das kommen soll. Es mag sein, dass die Christen Jahrhunderte nach Jesu Tod diese Verse so auslegten, dass sie ihnen verstehen halfen, warum es ihrem Messias nicht gelungen war, auch nur eine der von ihm erwarteten messianischen Aufgaben auf Erden zu erfüllen. Die Juden in Jesu Zeit hingegen stellten sich keinen Messias vor, der litt und starb. Sie warteten auf einen Messias, der siegte und lebte.
    Was Jesu Anhänger versprachen, war eine atemberaubend gewagte Neudefinition – nicht nur der messianischen Prophezeiungen, sondern des eigentlichen Wesens und der Funktion des jüdischen Messias. Mit der unbekümmerten Zuversicht eines Ungebildeten und im Schrifttum nicht Bewanderten ging der Fischer Simon Petrus sogar so weit zu behaupten, König David selbst habe Jesu Kreuzigung und Wiederauferstehung in einem seiner Psalmen prophezeit. «Da er ein Prophet war und wusste, dass Gott ihm den Eid geschworen hatte, einer von seinen Nachkommen werde auf seinem Thron sitzen», erzählte Petrus den im Tempel versammelten Pilgern. «[David sagte] vorausschauend über die Auferstehung des Christus: Er gibt ihn nicht der Unterwelt preis und sein Leib schaut die Verwesung nicht.» (Apg  2 , 30 – 31 )
    Hätte sich Stephanus in den heiligen Texten ausgekannt, wäre er ein Schriftgelehrter oder auch nur ein Einwohner Jerusalems gewesen, für den der Widerhall der Psalmen von den Tempelmauern so vertraut wie der Klang seiner eigenen Stimme gewesen wäre, dann hätte er sofort gewusst, dass König David nie so etwas über den Messias gesagt hatte. Die «Prophezeiung», von der Petrus spricht, war ein Psalm, den König David über sich
selbst
sang:
    Darum freut sich mein Herz und frohlockt meine Seele;
    auch mein Leib wird wohnen in Sicherheit.
    Denn du gibst mich nicht der Unterwelt preis;
    du lässt deinen Frommen das Grab nicht schauen.
    Du zeigst mir den Pfad zum Leben.
    Vor deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle,
    zu deiner Rechten Wonne für alle Zeit.
    Psalmen  16 , 9 – 11
    Stephanus – und hierin liegt der Schlüssel zum Verständnis der dramatischen Wandlung von Jesu Botschaft nach seinem Tod – war jedoch kein Schreiber oder Gelehrter. Er kannte sich im Schrifttum nicht aus. Er lebte nicht in Jerusalem. Somit war er das perfekte Publikum für diese neue, innovative und durch und durch unorthodoxe Interpretation des Messias, die von einer Gruppe ungebildeter Ekstatiker verbreitet wurde, deren Glauben an ihre

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