Zelot
in Getsemani gesprochen hatte, und so weiter. Markus’ Beitrag zu den Passionserzählungen war seine Verwandlung dieser ritualisierten Abfolge von Ereignissen in eine zusammenhängende Geschichte über den Tod Jesu, die seine Redaktoren Matthäus und Lukas zusammen mit ihren jeweils eigenen Ausschmückungen in ihre Evangelien integrierten (Johannes könnte sich für sein Evangelium auf eine andere Sammlung von Passionserzählungen gestützt haben, da kaum eine Einzelheit, die er über die letzten Tage Jesu liefert, zu dem passt, was man bei den Synoptikern findet).
Wie alles andere in den Evangelien wurde auch die Geschichte von Jesu Verhaftung, Prozess und Hinrichtung aus einem Grund, und wirklich nur aus einem einzigen niedergeschrieben: um zu beweisen, dass er der verheißene Messias war. Faktentreue war unwichtig. Was zählte, war Christologie, nicht historische Genauigkeit. Die Verfasser der Evangelien erkannten ganz offenbar, wie wesentlich Jesu Tod für die im Entstehen begriffene Gemeinschaft war, doch die Geschichte dieses Todes musste noch ein bisschen ausgearbeitet, verlangsamt und neu ausgerichtet werden. Sie brauchte bestimmte Details und Ausschmückungen von Seiten der Evangelisten. Und so ist diese letzte, bedeutsamste Episode in der Geschichte des Jesus von Nazaret auch diejenige, die durch theologische Erweiterungen und reine Erfindungen am stärksten verdunkelt wird. Das einzige Mittel, das man als moderner Leser oder als moderne Leserin zur Verfügung hat, um vielleicht doch noch einen Anflug von historischer Genauigkeit in den Passionserzählungen aufzuspüren, besteht darin, langsam und vorsichtig den theologischen Firnis abzuziehen, den die Evangelisten über Jesu letzte Tage gelegt haben, und zu der primitivsten Version der Geschichte zurückzukehren, die aus den Evangelien geborgen werden kann. Und der einzige Weg, dies zu tun, beginnt am Ende der Geschichte, als Jesus bereits ans Kreuz geschlagen ist.
Die Kreuzigung war in der Antike eine weit verbreitete und überaus häufige Form der Hinrichtung. Die Perser und Inder setzten sie genauso ein wie die Assyrer, Skythen, Römer und Griechen. Selbst die Juden praktizierten die Kreuzigung; sie wird in rabbinischen Quellen wiederholt als Strafe erwähnt. Die Kreuzigung war billig. Sie konnte fast überall vollzogen werden, nur ein Baum war vonnöten. Die Qualen konnten Tage andauern, ohne dass man eigens einen Folterknecht brauchte. Die Prozedur der Kreuzigung – wie man das Opfer aufhängte – blieb völlig dem Henker überlassen. Manche Opfer wurden kopfüber gekreuzigt. Bei manchen wurden die Geschlechtsteile durchbohrt. Manche wurden verhüllt. Die meisten wurden nackt ausgezogen.
Rom stilisierte die Kreuzigung zu einer Form der staatlichen Bestrafung und schuf dabei eine gewisse Uniformität, insbesondere, was das Annageln von Händen und Füßen an einen Querbalken betraf. Die Kreuzigung wurde im Römischen Reich so häufig vollzogen, dass Cicero sie «jene Plage» nannte. In der Bürgerschaft wurde das Wort «Kreuz» (
crux
) zu einem beliebten, ziemlich vulgären Ausspruch, etwa so wie «Häng dich doch auf».
Und doch wäre es ungenau, die Kreuzigung als eine Todesstrafe zu bezeichnen, denn oft wurde das Opfer zuerst getötet und dann an ein Kreuz genagelt. Der Zweck der Kreuzigung bestand nicht so sehr darin, den Verbrecher zu töten, als vielmehr in einer Abschreckung für andere, die den Staat womöglich herausfordern konnten. Deshalb wurden Kreuzigungen immer öffentlich vollzogen – an Straßenkreuzungen, in Theatern, auf Hügeln oder sonstigen Erhebungen, überall, wo die Bevölkerung gar keine andere Wahl hatte, als diese gruselige Szene zur Kenntnis zu nehmen. Man ließ den Verbrecher immer lange hängen, nachdem er gestorben war; Gekreuzigte wurden fast nie begraben. Da der Sinn und Zweck der Kreuzigung allein darin bestand, das Opfer zu demütigen und die Betrachter in Angst und Schrecken zu versetzen, blieb der Leichnam hängen, um von Hunden und Raubvögeln gefressen zu werden. Dann wurden die Knochen auf einen Abfallhaufen geworfen. Daher hatte auch Golgota, der Ort von Jesu Kreuzigung, seinen Namen:
Schädelstätte
. Einfach gesagt, war die Kreuzigung mehr als eine Todesstrafe für Rom; sie war eine öffentliche Erinnerung daran, was geschah, wenn jemand das Reich herausforderte. Deshalb war sie den extremsten politischen Verbrechen vorbehalten: Verrat, Rebellion, Aufruhr, Banditentum.
Wenn man nichts weiter über
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