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Zelot

Zelot

Titel: Zelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reza Aslan
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Botschaft nur noch von der Leidenschaft übertroffen wurde, mit welcher sie diese Botschaft predigten.
    Stephanus konvertierte kurz nach Jesu Tod zur Jesus-Bewegung. Wie die meisten Konvertiten aus der fernen Diaspora verließ er wahrscheinlich seinen Heimatort, verkaufte seinen Besitz, übertrug seine Habe der Allgemeinheit und ging nach Jerusalem, wo er im Schatten der Tempelmauern eine neue Heimat fand. Zwar gehörte er der neuen Gemeinde nur kurze Zeit an – vielleicht ein oder zwei Jahre –, doch durch seinen gewaltsamen Tod kurz nach der Konversion ging sein Name in die Annalen der christlichen Geschichte ein.
    Die Geschichte jenes verherrlichten Todes findet sich in der Apostelgeschichte, in der die ersten fünf Jahrzehnte der Jesus-Bewegung nach der Kreuzigung aufgezeichnet sind. Der Evangelist Lukas, der das Buch angeblich als Fortsetzung seines Evangeliums verfasste, stellt die Steinigung des Stephanus als Wendepunkt in der frühen Kirchengeschichte dar. Stephanus nennt er einen Mann «voll Gnade und Kraft», der «Wunder und große Zeichen unter dem Volk» tut (Apg  6 , 8 ). Seine Reden und seine Weisheit, so behauptet Lukas, seien so mächtig gewesen, dass ihm nur wenige widerstanden hätten. Somit wird der spektakuläre Tod des Stephanus in der Apostelgeschichte für Lukas zur Koda der Passionsgeschichte Jesu; als einziges synoptisches Evangelium überträgt das Lukas-Evangelium die gegen Jesus vorgebrachte Anschuldigung, er habe mit der Zerstörung des Tempels gedroht, auf die «Gerichtsverhandlung» des Stephanus. «Und sie brachten falsche Zeugen bei, die sagten: Dieser Mensch hört nicht auf, gegen diesen heiligen Ort und das Gesetz zu reden. Wir haben ihn nämlich sagen hören: Dieser Jesus, der Nazoräer, wird diesen Ort zerstören und die Bräuche ändern, die uns Mose überliefert hat.» (Apg  6 , 13 – 14 )
    Lukas gewährt Stephanus zudem eine Gelegenheit zur Verteidigung, wie sie Jesus in seinem Evangelium nie zuteil wird. In einer langen und polternden Rede vor dem Mob fasst Stephanus beinahe die gesamte jüdische Geschichte zusammen, beginnt bei Abraham und hört bei Jesus auf. Diese Rede, die offensichtlich Lukas’ Schöpfung ist, ist von grundlegenden Fehlern durchsetzt: So wird die Begräbnisstätte des großen Patriarchen Jakob darin falsch genannt und unerklärlicherweise behauptet, ein Engel hätte Moses das Gesetz überbracht, wo doch selbst der ungebildetste Jude in Palästina wusste, dass Gott persönlich Mose die Gesetzestafeln gab. Die wahre Bedeutung der Rede erschließt sich erst gegen Ende, als Stephanus in einem Anfall von Ekstase zum Himmel aufblickt und ruft: «Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.» (Apg  7 , 56 )
    Dieses Bild scheint in der frühchristlichen Gemeinde besonders beliebt gewesen zu sein. Markus, ebenfalls ein griechischsprachiger Jude aus der Diaspora, lässt in seinem Evangelium Jesus etwas ganz Ähnliches zu dem Hohepriester sagen: «Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen.» (Mk  14 , 62 ) Diese Stelle wird später von Matthäus und Lukas – ebenfalls griechischsprachigen Diasporajuden – für ihre eigenen Berichte übernommen.
    Während Jesus in den synoptischen Evangelien jedoch direkt Psalm  110 zitiert, um eine Verbindung zwischen sich selbst und König David herzustellen, wird in der Rede des Stephanus die Stelle «zur Rechten der Macht» bewusst durch «zur Rechten Gottes» ersetzt. Für diese Änderung gibt es einen Grund. Im antiken Israel war die Rechte (also die rechte Hand) ein Symbol von Macht und Herrschaft; sie signalisierte eine gehobene Position. «Zur Rechten Gottes» bedeutet, an Gottes Herrlichkeit teilzunehmen, dieselbe Ehre zu genießen und im Wesentlichen eins mit Gott zu sein. Wie Thomas von Aquin schrieb: «Zur Rechten des Vaters zu sitzen ist nichts anderes, als an der göttlichen Herrlichkeit teilzuhaben … [Jesus] sitzt zur Rechten des Vaters, weil er dasselbe Wesen besitzt wie der Vater.»
    Mit anderen Worten: Stephanus’ Menschensohn ist nicht die königliche Figur des Daniel, die «mit den Wolken des Himmels» kommt. Er errichtet sein Königreich nicht auf Erden, wo ihm «alle Völker, Nationen und Sprachen dienen müssen» (Dan  7 , 1 – 14 ). Er ist nicht mehr der Messias. Der Menschensohn in der Vision des Stephanus ist ein präexistentes, himmlisches Wesen, dessen Königreich nicht von dieser Welt ist;

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