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Zelot

Zelot

Titel: Zelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reza Aslan
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Aufgabe, Jesu Botschaft zu definieren, fiel stattdessen einer neuen Liga gebildeter, städtischer, griechischsprachiger Diasporajuden zu, die zu den wichtigsten Vehikeln für die Ausbreitung des neuen Glaubens werden sollten. Als diese außergewöhnlichen, oft von griechischer Philosophie und hellenistischem Denken beeinflussten Männer und Frauen die Botschaft Jesu neu auszulegen begannen, um sie sowohl für die übrigen griechischsprachigen Juden als auch für ihre heidnischen Nachbarn in der Diaspora schmackhafter zu machen, verwandelten sie den revolutionären Eiferer Jesus Schritt für Schritt in einen romanisierten Halbgott. Aus einem Mann, der versucht hatte, die Juden von der römischen Unterdrückung zu befreien, und dabei gescheitert war, wurde nun ein himmlisches Wesen, für das alles Weltliche vollkommen uninteressant war.
    Dieser Wandel vollzog sich nicht ohne Konflikte und Schwierigkeiten. Die ursprünglichen aramäischsprachigen Anhänger Jesu, darunter die Mitglieder seiner Familie und die Verbliebenen der Zwölf, wandten sich offen gegen die griechischsprachigen Diasporajuden, wenn es um das korrekte Verständnis von Jesu Botschaft ging. Diese Uneinigkeit zwischen den beiden Gruppen führte in den Jahrzehnten nach der Kreuzigung zur Herausbildung zweier verschiedener und rivalisierender Lager christlicher Interpretation: Eines wurde von Jesu Bruder Jakobus vertreten, das andere von dem ehemaligen Pharisäer Paulus. Wie wir noch sehen werden, war es in erster Linie der Wettstreit zwischen diesen beiden bitter und offen verfeindeten Gegnern, der das Christentum als Weltreligion, wie wir sie heute kennen, formte.

Kapitel dreizehn
Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist
    Es war, so steht es in den Evangelien, die sechste Stunde des Tages – drei Uhr nachmittags – am Tag vor dem Sabbat, als Jesus seinen letzten Atemzug tat. Dem Markus-Evangelium zufolge überkam eine Finsternis die ganze Welt, als hielte die ganze Schöpfung inne, um den Tod dieses einfachen Nazoräers zu bezeugen, den man gegeißelt und hingerichtet hatte, weil er sich König der Juden genannt hatte. Zur neunten Stunde rief Jesus plötzlich aus: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» (Mt  27 , 46 ) Jemand tauchte einen Schwamm in Essig und führte ihn an seine Lippen, um sein Leiden etwas zu lindern. Schließlich konnte Jesus dem Druck auf seine Lungen nicht länger standhalten; er hob den Kopf zum Himmel und hauchte mit einem lauten, gequälten Schrei seinen Geist aus.
    Jesu Hinrichtung wurde rasch vollzogen, und sein Tod wäre weitgehend unbemerkt geblieben – abgesehen vielleicht von der Handvoll weiblicher Jünger, die weinend am Fuße des Hügels standen und zu ihrem entstellten und verstümmelten Meister emporblickten. Die meisten Männer hatten sich bereits in Getsemani beim ersten Anzeichen von Ärger in die Nacht davongeschlichen. Der Tod eines Staatsfeindes, der auf Golgota am Kreuz hing, war ein tragisch banales Ereignis. Dutzende andere starben dort an jenem Tag mit Jesus. Ihre schlaffen Körper hingen noch tagelang am Kreuz und dienten als Nahrung für die über ihnen kreisenden, gefräßigen Vögel und für die Hunde, die im Schutze der Dunkelheit kamen, um sich über die Reste herzumachen, die die Vögel ihnen übrig gelassen hatten.
    Jesus war jedoch kein gewöhnlicher Verbrecher, zumindest nicht für die Evangelisten, die seine letzten Augenblicke als Geschichte aufschrieben. Er war Gottes Vertreter auf Erden. Somit war es unvorstellbar, dass sein Tod unbemerkt blieb, weder von dem römischen Gouverneur, der ihn ans Kreuz schlagen ließ, noch von dem Hohepriester, der ihn zur Verurteilung auslieferte. Deshalb zerreißt genau im Augenblick seines Todes, als Jesus seine Seele gen Himmel schickt, der Vorhang des Tempels, der den Altar vom Allerheiligsten trennt – der Vorhang, der mit dem Blut tausender Opfer besudelt ist, der Schleier, den der Hohepriester, und nur der Hohepriester zurückzog, wenn er in die Gegenwart Gottes trat. «Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!», erklärt ein verwirrter Zenturio zu Füßen des Kreuzes, dann rennt er zu Pilatus und berichtet ihm, was sich zugetragen hat.
    Das Zerreißen des Tempelvorhangs ist ein passendes Ende der Passionsgeschichte, das perfekte Symbol dafür, was der Tod Jesu für jene Männer und Frauen bedeutete, die sich viele Jahrzehnte später darüber Gedanken machten. Jesu Opfer, so argumentierten sie, beseitigte die Schranken zwischen

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