Zelot
Menschheit und Gott. Der Vorhang, der die göttliche Gegenwart vom Rest der Welt trennte, war weggerissen worden. Durch Jesu Tod hatte nun jedermann Zugang zum Geist Gottes, ohne rituelle oder priesterliche Vermittlung. Das kostbare Privileg des Hohepriesters, ja, der Tempel selbst waren nun plötzlich irrelevant. Der Körper Christi hatte die Tempelrituale ersetzt, so wie Jesu Worte die Tora ersetzt hatten.
Freilich sind diese theologischen Überlegungen erst Jahre nach der Zerstörung des Tempels angestellt wurden; es war leicht, Jesu Tod als Ersatz für einen Tempel zu betrachten, den es nicht mehr gab. Für die Jünger hingegen, die nach der Kreuzigung in Jerusalem blieben, waren der Tempel und die Priesterschaft immer noch tagtägliche Realität. Der Vorhang, der vor dem Allerheiligsten hing, war immer noch für alle sichtbar. Der Hohepriester und seine Helfer herrschten immer noch auf dem Tempelberg. Die Soldaten des Pilatus machten immer noch die gepflasterten Straßen von Jerusalem unsicher. Die Welt blieb im Großen und Ganzen, wie sie gewesen war, bevor man ihnen den Messias genommen hatte.
Nach dem Tode Jesu standen die Jünger vor einer schweren Glaubensprobe. Die Kreuzigung war das Ende ihres Traumes vom Umsturz des bestehenden Systems, davon, dass die zwölf Stämme Israels wiedererstehen und sie, die Jünger, im Namen Gottes über diese herrschen würden. Das Königreich Gottes würde nicht auf Erden errichtet werden, wie Jesus es versprochen hatte. Die Armen und Schwachen würden nicht mit den Reichen und Mächtigen den Platz tauschen. Die römische Besatzung würde nicht überwunden werden. Wie den Anhängern jedes anderen Messias, den das Imperium hingerichtet hatte, blieb auch den Jüngern Jesu eigentlich nichts übrig, als ihre Sache aufzugeben, ihre revolutionären Aktivitäten einzustellen und zu ihren Höfen und Dörfern zurückzukehren.
Doch dann geschah etwas Außergewöhnliches. Was genau es war, lässt sich unmöglich sagen. Die Wiederauferstehung Jesu ist für die Historiker ein ausgesprochen schwieriges Thema, weil es weit jenseits aller Möglichkeiten liegt, welche die Erforschung des historischen Jesus bietet. Die Vorstellung eines Mannes, der einen grausamen Tod erleidet und drei Tage später ins Leben zurückkehrt, widerspricht ganz offensichtlich jeder Logik, aller Vernunft und dem gesunden Menschenverstand. Man könnte die Diskussion schlicht an dieser Stelle beenden und erklären, der Glaube an den wieder auferstandenen Jesus sei das Produkt eines irregeführten Geistes.
Eine bohrende Tatsache kann jedoch nicht außer Acht gelassen werden: Von denjenigen, die behaupteten, den auferstandenen Jesus gesehen zu haben, wurden einer nach dem anderen selbst grausam getötet, weil sie sich weigerten, ihre Aussagen zu widerrufen. Das ist an sich nicht ungewöhnlich. Viele Zeloten starben auf grausige Weise, weil sie sich weigerten, ihre Überzeugungen zu widerrufen. Diese ersten Anhänger Jesu hingegen wurden nicht aufgefordert, Glaubensfragen zu leugnen, die auf Ereignissen gründeten, die Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende zurücklagen. Sie wurden aufgefordert, etwas zu leugnen, das sie persönlich und direkt erlebt hatten.
In Jerusalem waren die Jünger Jesu selbst Flüchtige, mitschuldig an der Volksverhetzung, die zur Kreuzigung Jesu geführt hatte. Sie wurden wegen ihrer Predigten regelmäßig verhaftet und misshandelt. Mehr als einmal hatte man ihre Anführer vor den Sanhedrin gebracht, damit sie sich wegen Blasphemie verantworteten. Sie wurden geschlagen, ausgepeitscht, gesteinigt und gekreuzigt, doch wollten sie nicht ablassen, die Wiederauferstehung Jesu zu verkünden. Und es funktionierte!
Der vielleicht offensichtlichste Grund, die Auferstehungserlebnisse der Jünger nicht einfach von der Hand zu weisen, ist, dass von all den gescheiterten Messiassen, die vor und nach Jesus kamen, einzig und allein Jesus immer noch Messias genannt wird. Dieser feste Glaube, mit dem die Anhänger Jesu an seiner Auferstehung festhielten, machte aus einer kleinen jüdischen Sekte die größte Religion der Welt.
Obwohl die ersten Auferstehungsberichte erst gegen Ende der neunziger Jahre entstanden (weder in dem um das Jahr 50 n. Chr. zusammengestellten Material der Logienquelle Q noch im Markus-Evangelium, das nach dem Jahre 70 n. Chr. verfasst wurde, ist die Auferstehung erwähnt), scheint der Glaube an sie bereits Teil der frühesten liturgischen Muster der aufkeimenden
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