Zelot
sind Hebräer – ich auch. Sie sind Israeliten – ich auch. Sie sind Nachkommen Abrahams – ich auch. Sie sind Diener Christi – jetzt rede ich ganz unvernünftig –, ich noch mehr: Ich ertrug mehr Mühsal, war häufiger im Gefängnis, wurde mehr geschlagen, war oft in Todesgefahr.» ( 2 Kor 11 , 22 – 23 )
Besonders verhasst sind Paulus die in Jerusalem ansässigen Jakobus, Petrus und Johannes, die er als die angeblichen «Säulen» der Kirche verspottet (Gal 2 , 9 ). «Was sie früher waren, kümmert mich nicht», schreibt er, «auch von den ‹Angesehenen› wurde mir nichts auferlegt.» (Gal 2 , 6 ) Die Apostel mochten den lebendigen Jesus (oder, wie ihn Paulus herablassend nennt, «Jesus im Fleische») begleitet und mit ihm gesprochen haben, Paulus hingegen wandelt und spricht mit dem göttlichen Jesus: Er behauptet, sie führten Gespräche, in denen ihm Jesus geheime Anweisungen gebe, die nur für seine Ohren bestimmt seien. Die Apostel mögen von Jesus persönlich auserkoren worden sein, als sie auf ihren Feldern schufteten oder gerade ihre Fischernetze einholten. Paulus indes will von Jesus erwählt worden sein, bevor er noch geboren war: Er sei «schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen» worden, erzählt er den Galatern (Gal 1 , 15 ). Mit anderen Worten: Paulus betrachtet sich nicht als 13 . Apostel. Er hält sich für den ersten Apostel.
Der Anspruch auf die Apostelrolle ist für Paulus von höchster Bedeutung, denn nur so lässt sich seine ausschließlich selbst auferlegte Missionierung der Nichtjuden rechtfertigen, scheint diese doch von den Führern der Jesus-Bewegung in Jerusalem anfänglich nicht unterstützt worden zu sein. Es gab unter den Aposteln zwar viele Diskussionen darum, wie strikt man sich an das Gesetz Mose halten solle – manche forderten dessen rigorose Befolgung, andere wiederum nahmen eine moderatere Haltung ein –, doch bestand kaum Uneinigkeit darüber, wem die Gemeinde dienen solle: Es war eine jüdische Bewegung, gerichtet auf ein jüdisches Publikum. Selbst die Hellenisten beschränkten sich in ihrem Predigen hauptsächlich auf die Juden. Wenn dann eine Handvoll Nichtjuden beschloss, Jesus als Messias anzunehmen, war das allerdings kein Problem, solange sie sich der Beschneidung und dem Gesetz unterwarfen.
Für Paulus indes gibt es keinerlei Spielraum, über die Rolle des Gesetzes Mose in der neuen Gemeinde zu debattieren. Er lehnt die Vorrangstellung des jüdischen Gesetzes nicht nur ab, sondern bezeichnet es gar als «Dienst, der zum Tod führt und dessen Buchstaben in Stein gemeißelt waren», der von einem viel herrlicheren «Dienst des Geistes» abgelöst werden soll ( 2 Kor 3 , 7 – 8 ). Seine Mitgläubigen, die weiterhin die Beschneidung praktizieren – ein wesentliches Merkmal des Volkes Israel –, bezeichnet er als «Hunde», «falsche Lehrer» und «Verschnittene» (Phil 3 , 2 ). Für einen ehemaligen Pharisäer sind das durchaus verblüffende Aussagen. Für Paulus jedoch spiegelt sich in ihnen die Wahrheit über Jesus wider, die er allein zu erkennen glaubt und die da lautet: «Christus ist das Ende des Gesetzes.» (Röm 10 , 4 )
Paulus’ unbekümmerte Ablehnung der Grundfeste des Judentums war für die Anführer der Jesus-Bewegung in Jerusalem ebenso schockierend, wie sie für Jesus selbst gewesen wäre. Schließlich behauptete Jesus, er sei gekommen, um das Gesetz Mose zu erfüllen, und nicht, um es abzuschaffen. Weit davon entfernt, das Gesetz abzulehnen, strebte Jesus stets danach, es zu erweitern und zu intensivieren. Wo das Gesetz gebietet, «Du sollst nicht töten», fügt Jesus hinzu: «Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem[selben] Gericht verfallen sein.» (Mt 5 , 22 ) Wo das Gesetz festlegt, «Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen», erweitert es Jesus zu «Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.» (Mt 5 , 28 ) Jesus mochte hinsichtlich der korrekten Auslegung des Gesetzes mit den Schreibern und Gelehrten uneins sein, insbesondere, was solche Dinge wie das Arbeitsverbot am Sabbat betraf. Doch das Gesetz als solches zweifelte er niemals an. Im Gegenteil: «Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein», warnt er. (Mt 5 , 19 )
Nun sollte man eigentlich denken, Jesu Ermahnung, anderen nicht den Bruch von Mose Gesetz zu
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