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Zelot

Zelot

Titel: Zelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reza Aslan
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einen weiteren, eher praktischen Vorteil. Der jährliche Zyklus von Festen und Feiertagen brachte Tausende von Juden aus dem gesamten Imperium direkt zu ihnen. Im Gegensatz zu den in Jerusalem lebenden Juden, die Jesu Anhänger bestenfalls als ungebildet und schlimmstenfalls als irrgläubig abgetan hatten, erwiesen sich die Diasporajuden, die fern der heiligen Stadt und jenseits des Einflusses des Tempels lebten, als weitaus empfänglicher für die Botschaft der Jünger. Als kleine Minderheiten, die in den großen kosmopolitischen Zentren wie Antiochia und Alexandria lebten, waren diese Diasporajuden sowohl von der römischen Gesellschaft als auch vom griechischen Denken stark beeinflusst. Umgeben von einer Vielzahl verschiedener Rassen und Religionen, waren sie in der Regel offener dafür, jüdische Überzeugungen und Praktiken zu hinterfragen, selbst, wenn es um solch grundlegende Angelegenheiten wie die Beschneidung oder Ernährungsvorschriften ging.
    Im Gegensatz zu ihren Brüdern im Heiligen Land sprachen die Diasporajuden nicht Aramäisch, sondern Griechisch: Dies war die Sprache ihrer Gedanken, die Sprache ihrer Gebete. Sie lasen die Schriften nicht in ihrer ursprünglichen, hebräischen Version, sondern in einer griechischen Übersetzung (der
Septuaginta
), die neue und erfinderische Wege bot, ihren Glauben auszudrücken, was ihnen gestattete, die traditionelle biblische Kosmologie leichter mit der griechischen Philosophie in Einklang zu bringen. Man nehme nur die jüdischen Schriften, die in der Diaspora entstanden: Bücher wie
Die Weisheit Salomos
, in dem die Weisheit als Frau dargestellt wird, die es über alles zu begehren gilt, und das Buch Jesus Sirach (auch bekannt als Ecclesiasticus) lasen sich mehr wie griechische philosophische Traktate denn wie semitische Schriften.
    Es ist daher nicht überraschend, dass Diasporajuden für die innovative Auslegung der Schriften, wie sie ihnen die Anhänger Jesu boten, empfänglicher waren. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis diese griechischsprachigen Juden den ursprünglich aramäischsprachigen Anhängern Jesu in Jerusalem zahlenmäßig überlegen waren. Der Apostelgeschichte zufolge teilte sich die Gemeinde in zwei separate, verschiedene Lager: die «Hebräer», womit die in Jerusalem ansässigen Gläubigen unter der Führung von Jakobus und den Aposteln bezeichnet werden, und die «Hellenisten», jene Juden, die aus der Diaspora kamen und deren Hauptsprache Griechisch war (Apg  6 , 1 ).
    Es war aber nicht nur die Sprache, wodurch sich die Hebräer von den Hellenisten abgrenzten. Die Hebräer waren hauptsächlich Bauern und Fischer aus den ländlichen Gegenden Judäas und Galiläas, die es nach Jerusalem verschlagen hatte. Die Hellenisten indes waren anspruchsvoller und urbaner, gebildeter und auf jeden Fall wohlhabender, was nicht zuletzt daran abzulesen ist, dass sie in der Lage waren, eine mehrere hundert Kilometer weite Pilgerreise zum Tempel zu unternehmen. Dennoch waren es schließlich die sprachlichen Unterschiede, die sich als wesentliches Abgrenzungsmerkmal der beiden Gemeinden erwiesen. Die Hellenisten, die Jesus auf Griechisch verehrten, benutzten eine Sprache, die auf ein vollkommen anderes Bezugssystem aus Symbolen und Metaphern zurückgriff als das Aramäische oder Hebräische. Die sprachlichen Unterschiede führten daher nach und nach auch zu Unterschieden in der Lehre. So begannen die Hellenisten, ihr griechisch geprägtes Weltbild mit der bereits recht eigenwilligen Auslegung des jüdischen Schrifttums durch die Hebräer zu vermengen.
    Als es zwischen den beiden Gemeinden zum Streit um die gleiche Verteilung gemeindlicher Ressourcen kam, ernannten die Apostel unter den Hellenisten sieben Führer, die sich um deren Bedürfnisse kümmern sollten. Diese Führer, bekannt als «die Sieben», sind in der Apostelgeschichte aufgeführt: Philippus, Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas, Nikolaus (ein Proselyt aus Antiochia) und natürlich Stephanus, dessen Ermordung durch einen aufgebrachten Mob die Trennung zwischen Hebräern und Hellenisten zementieren sollte.
    Nach Stephanus’ Tod kam es zu einer Welle der Verfolgung. Die religiösen Behörden, welche die Anwesenheit der Anhänger Jesu in Jerusalem bis dahin zähneknirschend toleriert hatten, waren nun durch Stephanus’ schockierend ketzerische Worte aufgestachelt. Es war schlimm genug, einen gekreuzigten Bauern Messias zu nennen, ihn aber Gott zu nennen, war unverzeihliche Blasphemie. Als

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