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Zelot

Zelot

Titel: Zelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reza Aslan
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Benjamin, ein Hebräer von Hebräern», schreibt er über sich selbst in einem Brief an die Philipper, «lebte als Pharisäer nach dem Gesetz, verfolgte voll Eifer die Kirche und war untadelig in der Gerechtigkeit, wie sie das Gesetz vorschreibt.» (Phil  3 , 5 – 6 )
    Auf dem Weg nach Damaskus hatte der junge Pharisäer jedoch ein ekstatisches Erlebnis, dass alles für ihn veränderte und durch welches er den bis dahin verhassten Glauben selbst annahm. Als er sich mit seinen Reisebegleitern den Stadttoren näherte, traf ihn plötzlich ein Licht aus dem Himmel, das alles um ihn herum hell erleuchtete. Er stürzte zu Boden. Eine Stimme sagte zu ihm: «Saul, Saul, warum verfolgst du mich?»
    «Wer bist du, Herr?», fragte Saulus.
    Die Antwort schallte durch das grelle weiße Licht: «Ich bin Jesus.»
    Geblendet durch diese Vision, gelangte Saulus nach Damaskus, wo er einem Anhänger Jesu namens Ananias begegnete, der ihm die Hände auflegte und seine Sehfähigkeit wiederherstellte. In diesem Augenblick fielen Saulus buchstäblich die Schuppen von den Augen, und er wurde vom Heiligen Geist erfüllt. Unverzüglich ließ er sich taufen und schloss sich der Jesus-Bewegung an. Er änderte seinen Namen in Paulus und begann sofort damit, von dem auferstandenen Jesus zu predigen – und zwar nicht seinen jüdischen Mitbürgern, sondern den Nichtjuden, die von den wichtigsten Missionaren der Bewegung bis zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger ignoriert worden waren.
    Die Geschichte von Paulus’ dramatischer Wandlung auf der Straße nach Damaskus ist freilich nichts weiter als eine propagandistische Legende aus der Feder des Evangelisten Lukas; Paulus selbst erwähnt nirgends, dass er vom Lichte Jesu geblendet worden sei. Wenn man den Überlieferungen Glauben schenken darf, war Lukas ein junger, begeisterter Anhänger von Paulus: Er ist in zwei Briefen erwähnt, Kolosser und Timotheus, die allgemein Paulus zugeschrieben werden, jedoch lange nach dessen Tod verfasst wurden. Lukas schrieb die Apostelgeschichte 30 oder 40  Jahre nach Paulus’ Tod als eine Art Lobrede auf seinen früheren Meister. Tatsächlich ist die Apostelgeschichte weniger ein Bericht über das Wirken der Apostel als eine ehrfurchtsvolle Paulus-Biographie; schon früh im Buch verschwinden die Apostel und dienen kaum mehr denn als Brücke zwischen Jesus und Paulus. In Lukas’ Neuauslegung ist Paulus – weder Jakobus noch Petrus, Johannes oder ein anderer der Zwölf – der wahre Nachfolger Jesu. Die Aktivitäten der Apostel in Jerusalem sind lediglich ein Vorspiel zu Paulus’ Wirken in der Diaspora.
    Obgleich Paulus keinerlei Details über seine Konversion preisgibt, beharrt er doch regelmäßig darauf, er habe den auferstandenen Jesus mit eigenen Augen gesehen und dass ihn diese Erfahrung mit derselben apostolischen Autorität ausstatte wie die Zwölf. «Bin ich nicht ein Apostel?», schreibt Paulus zur Verteidigung seiner Legitimation, die von der Urgemeinde in Jerusalem regelmäßig angezweifelt wird. «Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen?» ( 1  Kor  9 , 1 )
    Paulus mag sich selbst als Apostel betrachtet haben, aber es scheint, als hätten nur wenige andere führende Mitglieder der Bewegung seine Meinung geteilt. Nicht einmal Lukas, Paulus’ Lobhudler, dessen Schriften einen bewussten, geschichtlich unhaltbaren Versuch offenbaren, den Status seines Mentors in der Frühkirche zu heben, bezeichnet ihn als Apostel. Was Lukas betrifft, gibt es nur zwölf Apostel, einen für jeden Stamm Israels, so wie Jesus es vorgesehen hat. In seiner Erzählung davon, wie die verbleibenden elf Apostel Judas Iskariot nach Jesu Tod durch Matthias ersetzen, schreibt Lukas, dass der Neuling einer «von den Männern» habe sein müssen, «die die ganze Zeit mit uns zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und (in den Himmel) aufgenommen wurde» (Apg  1 , 21 ). Eine solche Anforderung hätte Paulus von vornherein ausgeschlossen, da er sich erst um das Jahr 37 der Bewegung angeschlossen hatte, also fast zehn Jahre nach Jesu Tod. Doch davon lässt sich Paulus nicht beirren. Er verlangt nicht nur, als Apostel bezeichnet zu werden – «Wenn ich für andere kein Apostel bin, bin ich es doch für euch», verkündet er seiner geliebten Gemeinde in Korinth (1 Kor 9,2) –, sondern beharrt obendrein darauf, weit höherstehend als alle anderen Apostel zu sein. «Sie

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