Zeltplatz Drachenloch
sprechen,
teils erfreulich, weil sich Gine mit Kam versteht und weil... und weil...
»Kam ?« fragte Gine leise.
»Ja, schläfst du denn noch immer nicht ?«
»Nein, ich kann nicht .«
»Aber warum denn nicht?«
Gine dachte nach. »Weil ich solche Sorgen habe .«
»Sorgen? Ich denke, du müßtest doch keine Sorgen haben. Ist etwas in der Schule, ich meine, stimmt da etwas nicht ?«
»Ach wo«, entgegnete Gine, »die Schule, die macht mir überhaupt keine Sorgen. Aber die anderen.« Und Gine erzählte von Georg, von Hans und Max, und natürlich auch von Immerfroh. Sie berichtete auch vom geplanten Sommerlager und daß wahrscheinlich nichts daraus würde, weil sich diese dummen Buben zerstritten hatten, und weil Buben überhaupt dumm sind.
Kam hörte sehr aufmerksam zu, lachte manchmal oder sprach ein beruhigendes Wort.
»Willst du mir helfen, Kam ?« fragte Gine zum Schluß. »Ja, Gine, wir werden richtig zusammenhelfen, wir und Georg natürlich auch. Das gehört sich doch .«
Der Elternabend mit dem herrlichen Thema
GESUNDE FERIEN FÜR UNSERE KINDER
war vorbei. Die Eltern waren mit geheimnisvollen Gesichtern nach Hause gekommen, aber sie verrieten nichts. Kein Wort verrieten sie, wie sehr manche Schüler auch fragten. Das erhöhte die Spannung.
Die Sonne kletterte immer ein Stück höher den Himmel hinan, ging jeden Tag früher auf und später unter. Mit einem Wort, die Ferien näherten sich Tag um Tag. Es war schon Mitte Mai. Immerfroh hatte einen zweiten Brief nach St. Georgen geschickt, nach St. Georgen an der Ister . Drei Tage später war aus St. Georgen an der Ister wieder ein Brief gekommen.
Immerfroh rollte in einer Erdkundestunde eine Landkarte auf, die nicht Italien oder Spanien zeigte, sondern ein ganz anderes Gebiet.
»Hier, dieser Fluß«, sagte Immerfroh, »den ich mit dem Zeigestab nachziehe, dieser Fluß ist die Ister , und hier liegt St. Georgen. Es ist eines der neun St. Georgen, die es in unserem Land gibt, und weil es an der Ister liegt, heißt es St. Georgen an der Ister . Hier die Berge, die ihr eingezeichnet seht, sind fast durchweg über tausend Meter hoch. Und da habt ihr sogar einen See. An der südöstlichen, der hügeligen Seite des Sees blühen jedes Jahr im Frühling Tausende von Narzissen. Und da ist eine kleine Insel im See. Und wenn ihr ganz genau herseht, könnt ihr hier einen Bach eingezeichnet erkennen. Er stürzt aus einer Höhe von über zwanzig Metern an der östlichen, felsigen Seite in den See und verläßt ihn wieder am nordwestlichen Ufer. Das ist der Kaltbach. Sein Wasser ist klar, ein wunderschönes Gebirgswasser .«
Max mußte während der Schilderung Immerfrohs ununterbrochen schlucken, obwohl er gar nichts im Mund hatte, was bei Max sehr selten vorkam. Hans hörte sehr aufmerksam zu. Er hörte aber so zu, als würde Immerfroh von irgendeinem Ort, einem Fluß und einem See im hintersten Indien oder auf einem anderen Stern sprechen, als wäre das alles nicht nur ein paar Bahnstunden entfernt. St. Georgen war für Hans genausowenig erreichbar wie ein Ort in Indien oder auf einem anderen Stern. Es berührte Hans gar nicht, nicht im geringsten . Und als Immerfroh ihn und Max bat, sie möchten die Landkarte wieder auf-rollen und ins Lehrmittelzimmer bringen, taten sie es so, wie sie es schon oft getan hatten. Sie achteten nur sehr darauf, daß sie einander nicht zu nahe kamen oder gar berührten.
Das war also das Messingschild mit den schwarzen Buchstaben.
Grimm
las Gine. Sie zögerte. Sollte sie läuten?
Unter dem Messingschild war eine weiße Karte angeheftet.
Florian Immerfroh
stand darauf. Gine berührte den Klingelknopf. Nein, es läutete noch nicht. Sie drückte etwas stärker. Es läutete noch immer nicht. Ob sie nicht doch lieber wieder gehen sollte? Sie wußte es nicht. Es war plötzlich alles so schwer. Schließlich ging sie das Ganze auch gar nichts an. Wenn die Buben so dumm waren, dann waren sie es eben. Dann sollten sie selber sehen, wie alles wieder zu einem guten Ende kam. Gine streichelte wieder den Knopf, und da läutete es plötzlich hinter der Tür. Von drinnen kamen Schritte auf die Tür zu. Gine erkannte sofort, das waren nicht Immerfrohs Schritte.
»Wer ist da ?« fragte eine unfreundliche Stimme hinter der
Tür.
»Ich«, sagte Gine.
»Wer ist das, ich ?«
»Georgine Brenner.«
»Und?«
»Ich möchte, bitte, Herrn Lehrer Immerfroh sprechen .«
»Der ist nicht da .« Die Tür wurde nicht geöffnet.
»So ?« fragte
Weitere Kostenlose Bücher