Zementfasern - Roman
sie trug keine Schuld an dem, was er ihr vorwarf. Sie streichelte sein nacktes Bein und fühlte die knotige Haut, als wäre dort eine riesige Narbe, ein alter Schnitt, der die Haut in Rinde verwandelt hatte. Der Mann verstand die Liebkosung nicht, eine eher mitleidige als erotische Geste, er schob ihre Hand weg, suchte mit seinem Schwanz ihren Mund. Ein beißender Geruch nach ihrem eigenen, getrockneten Blut und einem unbekannten, süßlichen Schweiß stach Mimi in die Nase und ätzte ihren Gaumen, sie weigerte sich.
»Du wolltest doch mitkommen, hierher, was soll das jetzt, du hast alles schmutzig gemacht, gleich kommt meine Frau, was meinst du, was dann los ist, sie wird dich umbringen, man wird dich hier umbringen.«
Während der Fremde redete, war Mimi schon aufgestanden und suchte den Ausgang, sie sah einen silbernen Spalt in der tristen Dämmerung des Kabuffs und orientierte sich an diesem Streifen Licht, hinter ihrem Rücken hörte sie geknurrte Schimpfworte. Dann fand sie sich mit nackten Füßen auf der Wiese des Lagers wieder, zwischen Queckengras und Ackerwinden, und lief auf den farbigen Horizont zu, dort, wo das Fest war.
Sie gelangte auf den Aschenplatz, den sie kurz zuvor mit dem Vorgefühl eines fröhlichen Abenteuers überquert hatte, jetzt hüpfte sie erschrocken und voller Angst, jemand könnte sie sehen, über den Platz. In der Dunkelheit bemerkte sie andere, die herumtappten wie sie. Vielleicht waren es Betrunkene, die hier einen Zufluchtsort gefunden hatten und nun von einem sicheren Platz aus das Sternenzelt betrachteten. Es waren zwei schwarze Silhouetten, die beim Gehen schwankend gegeneinanderstießen.
Mimi fühlte sich gejagt, die beiden machten abgehackte, ruckartige Bewegungen, als kämen sie aus einem alten Stummfilm. Zwei junge Männer, in ein lebhaftes Gespräch mit unbekannten Worten vertieft, sie kamen direkt auf Mimi zu, unmöglich, ihnen auszuweichen, schon fühlte sie die Hände unter ihrem Kleid, wie sie zogen, rissen, sie spürte den Atem der Männer über ihrem Mund, aus nächster Nähe sah sie die Narben in ihren Gesichtern, die hervortretenden Adern um die blutunterlaufenen Augen. Sie sah Millionen Einzelheiten, die niemand je hätte bemerken können, außer in einem taghell erleuchteten Zimmer, doch gerade als sie sich verloren gab, sah sie die beiden zu Boden stürzen, als hätte man sie niedergeschlagen. Sie waren über einen vertrockneten Rebstock gestolpert, der wie ein starker Haken aus dem Boden ragte.
Es fehlten nur wenige hundert Meter, die Umgebung war feindlich geworden, drohend schwebte der Schatten des Lagers über ihr, das sie so eilig verlassen hatte. Der Musiker suchte sie, die beiden Tölpel, die durch die Dunkelheit gewankt waren, hatten sich wieder erhoben und suchten sie, auch Biaginos Freunde suchten nach ihr, um sie zu verspotten, mit ihren nackten Füßen, dem verdreckten, zerknitterten Kleid, alle suchten nach ihr. Ein Komplott oder vielleicht nur die Beharrlichkeit des Unglücks, auf das Fest konnte Mimi nicht mehr zurückkehren, doch auf den Parkplatz ja.
Mit Mühe fand sie den Panda, der eingezwängt zwischen dem Blech Dutzender Autos stand, zum Glück hatte sie den Schlüssel noch, sie blickte sich um, Hunde waren keine da, auch die Vorfahren und Heiligen, die nur sie hörte, waren nicht da. Sie setzte sich auf den Fahrersitz, ließ die Zentralverriegelung einschnappen, schaltete das Licht ein und betrachtete sich im Rückspiegel, ihr leichtes Make-up war unversehrt, sie blickte auf ihr mit Erde und Blut beflecktes Kleid, dann löschte sie rasch das Licht und begann zu warten. Jetzt war sie in ihrem sicheren Unterschlupf, nur noch ein paar Stunden bis zum Tagesanbruch, sie würde ein wenig schlafen und mit einem von aschgrauen Wolken bedeckten Himmel und den Glocken von San Rocco aufwachen.
1998
Die Freundlichkeit
Der Mann träumt unruhig, es ist nicht das erste Mal seit dreiundzwanzig Jahren, und es wird nicht das letzte Mal sein.
Nachts kommen die Gespenster.
Zuerst die Stimmen.
Wie immer im Traum sind die Stimmen undeutlich, zu einem verworrenen Gemurmel vermengt, sie gleichen sich, haben keinen erkennbaren Ursprung. Sie gehören nicht zu den Menschen, an die wir denken.
Für Ippazio gab es im Sommer keine Ruhe.
Beim Morgengrauen stieg ihm ein intensiver Geruch von Blut in die Nase. Die Schläfenadern pulsierten, das Herz bebte, die Kehle wurde trocken. Der Stimmenbrei war der aus der Fabrik, den er hörte, wenn er über den Saum
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