Zementfasern - Roman
Geste einheitliche Absichten entsprechen, eine Frage nicht zwingend eine Antwort erfordert, sondern eine bestimmte Weise, sich anzusehen, den Klang der Stimme zu verändern, einen Gesichtsausdruck, ein winziges Detail, das alle Unruhe besänftigt. Gegenseitigkeit entsteht nicht immer zwischen Liebenden, sie kann auch zwischen zwei Unbekannten entstehen, die ein Körnchen dieses geheimnisvollen, ungreifbaren, aber einzigartigen Einverständnisses gefunden haben.
Paolo verbrachte kurze Abschnitte von Nachmittagen mit Mimi, während Federico und Arianna vom Meer zurückkehrten. Fern vom Salento hatte er aufgehört, die Küste zu lieben, vielleicht hatte er sich ihr beim Erwachsenwerden einfach entwöhnt, und so wartete er in Mimis Haus auf die beiden alten Freunde.
»Sie sind in Lecce, Paolo, heute kommen sie nicht mehr zurück.«
»Erinnerst du dich an unsere Kickerspiele?«, fragte Paolo, und Mimi verstand, welchen Weg er eingeschlagen hatte: Er wollte sich gemeinsam mit ihr erinnern.
»Ich weiß noch viele, aber eins schlägt sie alle.«
»Das am Ciolo, am Tag, als die Flüchtlinge ankamen.«
»Ihr wart noch Winzlinge.«
»Hast du Lust, mal wieder hinzugehen?«
»Seit damals bin ich fast nie mehr dort gewesen.«
»Wollen wir?«
»Ich weiß nicht.«
»Komm schon, heute ist Sonntag, wenn wir jetzt hinfahren, ist es ganz leer.«
Paolo und Mimi fanden sich auf dem Viadukt am Ciolo wieder. Keiner von beiden hätte geglaubt, dass dies wirklich passieren konnte.
Sie wanderten über den schmalen Gehweg, er in Jeans und einem viel zu großen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, er wirkte darin wie geschrumpft. Sie sah mit einem Stirnband, das ihre Haare anhob, einer großen Sonnenbrille und leuchtendrotem Lippenstift wie eine Filmschauspielerin der fünfziger Jahre aus. Es war ein Sonntag im Spätsommer, ein paar unerschrockene Schwimmer hatten sich auf das smaragdgrüne Meer hinausgewagt und stießen vor Zufriedenheit Schreie aus. Viel hatte sich nicht verändert in den vergangenen sieben Jahren, auf den Pfeilern gab es Kritzeleien, sogar ein chinesisches Schriftzeichen, der Himmel war klar, und vom Horizont waren keine Überraschungen zu erwarten.
Von weitem gesehen wirkten sie wegen ihrer bedrückten Mienen wie ein Paar, das einen Ort zum Alleinsein sucht, in Wirklichkeit hielten sie Ausschau nach einer Bar mit einem Tischfußballspiel. Die Bar, die vor ein paar Jahren zwischen den Feigenkakteen und den Pflastersteinen aus Lecce gestanden hatte, war nicht mehr dieselbe. Es gab nur ein Restaurant.
Mimi fragte den Besitzer, einen korpulenten Muskelprotz von einem Meter neunzig und einem T-Shirt mit der Aufschrift STAFF, ob sie spielen dürften.
»Es gibt fünf Bälle«, antwortete er und zog einen Notizblock aus der Tasche, als müsste er an einem Tisch eine Bestellung aufnehmen.
Mimi drehte sich zu Paolo, ihr Blick war wie dem Rest der Welt entfremdet.
»Hast du fünf Geheimnisse, die du mir erzählen kannst?«
»Was soll denn das bedeuten?«
»Hast du welche oder nicht?«
»Ja, die finde ich, und du?«
»Wir spielen, dann werden wir schon sehen, für jedes Tor, das ich schieße, erzählst du mir ein Geheimnis, für jedes deiner Tore erzähle ich dir eins von meinen.«
»Das Wahrheitsspiel.«
»Ja, aber in einer Form, die uns gefällt.«
Die Stangen war verrostet, und die Spieler vom Zahn der Zeit angefressen, ihre Füße waren nicht mehr rechteckig, sondern rundgeschliffen, das Spielfeld aus Kunststoff war uneben, die Bällchen holperten stockend aus dem hölzernen Kanal hervor.
»Es sind nicht fünf, nur vier«, bemerkte Paolo, während er versuchte, einen weiteren Ball hervorkommen zu lassen, indem er am Spieltisch rüttelte.
»Umso besser, fünf Geheimnisse hätte ich vielleicht nicht gehabt«, entfuhr es Mimi. Ihre Nachgiebigkeit wunderte Paolo. Er holte einen Ball heraus und warf ihn.
Die Stangen ließen sich nicht drehen, Mimi hatte größere Schwierigkeiten, auf ihrer Seite war die Zeit erbarmungsloser gewesen, das Mittelfeld war besonders schwergängig, während Paolo alles leichter fiel.
Der erste Ball landete sofort vor Paolos Mittelfeldspielern, die auf keinerlei Hindernisse stießen, Tor.
»Du schuldest mir dein erstes Geheimnis.«
»So schnell fällt mir nichts ein, ich hatte keine Zeit, drüber nachzudenken.«
»Es war deine Idee.«
»Was für ein Geheimnis möchtest du wissen?«
»Ein Geliebter, für den du dich schämst.«
Mimi staunte, sie stand aufrecht mit verschränkten
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