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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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Ein Trampel.«
    »Das hast du jetzt gesagt.«
    Es gibt schwindelerregende Momente, in denen unvermutet kompromittierende, vielleicht beleidigende oder sogar obszöne Gedanken im Geist auftauchen. Gedanken wechseln. Sie sind simpel, wie der Neid auf anderer Leute Besitz. Die Begierde aber ist wie ein Astrolabium, ein Mechanismus, der sich mit der Zeit vervollkommnet; hat die Begierde erst einmal einen Riss in der Vernunft entdeckt, weiß sie deren Grenzen auszureizen und immer verworrenere Situationen zu ersinnen. Manch einem wird es schon passiert sein, dass er eine Frau lieben wollte, nicht begehren, sondern wirklich lieben, die jedoch die Frau des besten Freundes war, die Mutter oder die Schwester der eigenen Geliebten oder die Vertraute und Freundin der einzigen jemals begehrten Frau. Doch wie oft hat man diesen Gedanken mit einem Lidschlag, einem etwas bewussteren Atemzug oder einem Hüsteln abgetan. Wenn das jedoch nicht geschieht, wird die Strafe der Wahnsinn sein.
    Wie viel Wahnsinn in jenem Spätsommerabend umging, wird keiner je erfahren, was man aber durchaus wahrnehmen konnte, war die Verstörung durch Blicke, waren die maliziösen Anekdoten und die gierige Erwartung, dass etwas passierte. Die Luft war feucht, ein öliger Film aus Kondenswasser, der sich heimtückisch auf die Windschutzscheiben legte und Dunstwolken wie in einem Thermalbad erzeugte. Paolo und Federico waren im Schritttempo mit ihren Autos angekommen. Die kurvenreiche Schnellstraße Otranto–Leuca war glitschig, aber voller Zauber. Über die Serpentinen zwischen Tricase Porto und das letzte Stück bis zur Serra fuhren sie so langsam, dass sie die nächtlichen Grillen hinter dem Nebel zirpen hörten. Das Getriebe im zweiten Gang, mit klopfendem Herzen.
    Sie hatten die Autos auf der Anhöhe neben der Assunta-Kirche stehenlassen und waren auf den Stufen aus Tuffstein nach unten gerutscht. Am Ende der Allee, am trüben Horizont aus Dunst und gedämpften Lichtern stand der Tisch, den Arianna gedeckt hatte. Federico und Paolo sahen nur sie. Und Arianna war wunderschön, sie war so, wie die beiden sie vor fünfzehn Jahren zurückgelassen hatten. Wie beim Schwimmen am Ciolo, als sie die Badekappe getragen hatte, um die Farbe ihrer Haare zu schützen. Arianna erschien ihnen mit einem Glas Weißwein in der Hand, sie hatte eben noch daran genippt, und beide wünschten sich in Gedanken dasselbe, sie möge den Wein von ihren Lippen den Lippen ihrer Freunde anbieten.
    »Seid ihr allein?«, fragte sie. Federico stotterte etwas, Paolo sagte, was er dachte: »Ich dachte, wir wollten unter uns sein …« Erschrocken über ihren plötzlich veränderten Gesichtsausdruck, fügte er hinzu: »Sie hätte sowieso nicht kommen können«, womit er seine neue Freundin meinte.
    Arianna trug einen Jeansrock und ein enges T-Shirt in der Farbe von Pampelmusen, diese Sachen saßen ihr am Körper wie ein Handschuh, betonten die Rundungen ihrer Hüften und das Becken. Mit unschuldiger Bosheit beugte Arianna sich über die Schulter ihres Freundes, wodurch die engen Kleidungsstücke sich noch straffer um den Körper zogen. Ihr neuer Freund Marcello hatte wenige Haare, und das Lächeln in seinem gutmütigen Gesicht glich der Kräuselung eines Sees. Er sah aus, als würde er jedes Geschehnis wie eine Entdeckung staunend aufnehmen, eine Mischung aus Wohlerzogenheit und echter Neugier. Er und Arianna hatten sich in der Notaufnahme des Krankenhauses kennengelernt, wo sie die Nächte verbrachte. Eines Abends hatte er einen Freund begleitet, der bei einem Unfall verletzt worden war, und nachdem Arianna die Schnittwunde genäht hatte, war er geblieben, um sich mit dem Mädchen zu unterhalten, das einen sehr starken süditalienischen Akzent hatte.
    Wer weiß, ob Marcello spürte, dass die Luft vom Bakterium einer Vergangenheit verseucht war, die aufdringlich wiederkehrte. Arianna tanzte auf ihren Absätzen, sie wusste, dass sie beobachtet, aufgefressen wurde von den Blicken ihrer einstigen Verehrer und des neuen Freundes.
    Paolo nahm mehr Einzelheiten wahr, Paolo hielt sich auch an Bewegungen und an den Formen fest, die der Körper und die Stimme annahmen.
    Federico nicht, Federico war woanders, Federico war bei seiner verpassten Hochzeit mit Arianna. Er wartete am Altar auf sie, dort in der kleinen Kirche der Assunta, zwischen dem Gemälde des heiligen Francesco von Paola und der Statue des heiligen Pantaleon, dreißig Meter von der Stelle entfernt, wo sie jetzt waren. Federico

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