Zementfasern - Roman
der Schichten war immer ein Vorarbeiter da, der vor der Gefahr warnte. Als ich hörte, wie der Junge hieß und wo er herkam, fuhr ein Teufel in mich, er zerriss mir die Brust. Ich sagte nichts von dem schadhaften Laufsteg. Er hat für alle Giacomos gezahlt, für mich stand fest, dass es eine Rache war.
Dann habe ich mit der Arbeit aufgehört, ich konnte nicht mehr an einem Ort sein, wo ich ein solches Verbrechen begangen hatte. Ein paar Monate später habe ich sogar versucht, mich auf einer Polizeiwache selbst anzuzeigen, was ich bekam, war ein Aufenthalt in einem Sanatorium für Geisteskranke. Ich lernte Gitarre spielen, machte Gelegenheitsarbeiten, und immer lief ich mit diesem enormen Schuldgefühl herum.«
Nächstes Streichholz, Licht, nächste Frage.
»Kein Schuldgefühl gegenüber deiner Tochter?«
Dunkelheit.
»Ich wollte nicht, dass Arianna denkt, ihr Vater sei ein Mörder, sie sollte nicht mit dieser Schuld aufwachsen.«
Feuer und ein Seufzer.
»Hast du all die Jahre dafür gebraucht, dir eine solche Ausrede einfallen zu lassen?«
Nach dem Hauch der Stimme kehrte die schwarze Finsternis zurück.
»Nein, das ist die Wahrheit.«
Mehr Streichhölzer gab es nicht, nur den schwachen Lichtschein am Himmel.
»Dass die Sünden der Eltern auf die Kinder zurückfallen, habe ich immer für kolossalen Schwachsinn gehalten, und du bist kein Mörder. Vielleicht kennst du die Bedeutung des Wortes nicht genau. Mörder. Ich versichere dir, dass ich den einen oder anderen kennengelernt habe.«
»Das haben mir in diesen fast dreißig Jahren alle immer wieder gesagt, aber ich glaube ihnen nicht, ich bin einer, jedenfalls habe ich mich dran gewöhnt, dass ich damit leben muss.«
»Ein Junge namens Giacomo, der nicht mal ein Bekannter von unserem Verfolger ist, fällt in den Zement, weil du ihn nicht rechtzeitig auf den Schaden in einem Laufsteg hingewiesen hast. Und das nennst du Mord?«
»Ich fühle mich schuldig.«
»Konnte nicht wenigstens ein kleiner Teil dieses großen Schuldbewusstseins dafür genutzt werden, uns zu helfen?«
»Ich kann dich nicht belügen.«
»Erzähl mir deine Version der Geschichte, Pati, ich bitte dich. Warum hast du Berto Brancaccio für mich gefunden und bist verschwunden?«
Eine außergewöhnlich schöne Dämmerung war dem Wahrheitsspiel vorausgegangen, mit Streifenwolken im weiten Farbspektrum Perlmutt, Rosa, Kirschrot. Jetzt war die Dunkelheit gekommen, die Wolken hatten ein Cyanblau und Blauviolett angenommen, wenige Sterne standen am Himmel, und Pati schien sie mit Blicken zu suchen, um kostbare Minuten zu gewinnen, um so tief wie möglich zu atmen.
»Ich habe dich geliebt, aber ich bin mit einem anderen Mädchen ausgegangen.«
»Das hatte ich vermutet.«
»Warte, es ist nicht so wie du glaubst. Sie heißt Franca, aber sie ist Deutsche. Sie hatte kein leichtes Leben. Ich habe dich belogen. Erinnerst du dich, als ich dir erzählte, ich sei gestürzt?«
»Das habe ich keinen Moment lang geglaubt.«
»Was?«
»Dass du gestürzt warst, alle wussten, dass Giacomo und seine Leute dich verprügelt hatten.«
»Aber anfangs hast du mir geglaubt.«
»Weniger als du denkst.«
»Damals lernte ich Franca kennen.«
»Du hast dich entschieden.«
»Ich habe mich für Franca entschieden. Sie war eine Frau, du ein Mädchen.«
»Aber das Mädchen war schwanger, und du hast sie Berto ausgeliefert und bist verschwunden, hast du dir eigentlich jemals bewusst gemacht, was du da tust? Hast du je darüber nachgedacht?«
Ein paar Sekunden vergingen.
Ippazio suchte mit den Augen den Horizont ab, die Streifenwolken waren verschwunden, die Sterne begannen, ihre Konstellationen zu zeichnen. »Der große Himmelswagen«, hätte er gerne gesagt, nein, geschrien. Stattdessen war er gezwungen zu antworten, strammzustehen vor dem schwerwiegendsten aller Bekenntnisse.
»Dieses Kind … ich wusste nicht … von wem du schwanger warst.«
Einen Augenblick lang dachte Mimi, sie hätte nicht richtig gehört, sie gab sich noch eine Chance, dies war die schlimmste Befürchtung, die sie gehegt hatte. Die Wahrheit, die Ippazio gleich aussprechen würde, war vielleicht die einzige Wahrheit, die aufgespart werden musste. Sie war die äußerste aller feigen Gesten. Mimi war entgeistert, zu Tode betrübt, sie spürte, wie ihr der bittere Geschmack des Adrenalins, der Erschütterung, der Wut in die Kehle stieg. In ihrer Brust zuckte ein heftiger Schmerz, eine geheimnisvolle Faser hinter der Krone der Brustwarze
Weitere Kostenlose Bücher