Zenjanischer Lotus (German Edition)
Ende schien nicht in Sicht.
Anfangs setzte Sothorn darauf, seinen Gegner so schnell wie möglich auszuschalten. Mehrfach trat er nach dessen Knien oder hieb mit beiden Dolchen zugleich Richtung Bauch. Der Wein in
seinen Adern machte ihn ein wenig träge, und trotz sener Freude an diesem Duell wusste er, dass er nicht in Höchstform war. Unter normalen Umständen hätte er sich des Fremden
schnell entledigt und seine Leiche zum Hafen geschleift.
Doch dieser Gegner machte es ihm nicht leicht. Er wartete, verteidigte sich mehr, als er angriff.
Sothorn hatte keine Angst, aber er war überrascht, dass seine Klingen nie ihr Ziel erreichten und stets von der gegnerischen Waffe abgeblockt wurden. Schließlich wagte er einen
Vorstoß, schrie und warf sich ungeachtet der Gefahren für seinen eigenen Körper gegen den Gegner. Er prallte mit der Schulter gegen dessen Brustkorb, glaubte sich im Vorteil, als
der Schwarzhaarige ins Wanken geriet. Stattdessen gingen sie auf einmal beide zu Boden. Der Nordmann hatte sich fallen lassen und ihn mit sich gerissen.
„Was bei Qorton ...“, rutschte es Sothorn heraus, während er sich flink wie ein Wiesel abrollte und eine Schrittlänge weiter auf die Füße kam.
Nun war es an seinem Herausforderer, über ihn zu lachen: „Glaubst du, ich warte, bis du mir deine Messer in die Nieren rammst?“
Auch er sprang mit einem Satz auf. Sie standen sich dicht gegenüber, ihre Waffen zwischen sich. Sothorn bekam Kopfschmerzen, als er in die falkengelben Augen vor sich sah.
Gelbe Augen? Was hatte es mit gelben Augen auf sich?
Sothorn sog scharf die Luft ein. Plötzlich wusste er, mit wem er es zu tun hatte. Sofort zuckte sein Blick zum Himmel in Erwartung eines Angriffs von oben.
Verflucht. Natürlich hatte der Fremde einen Trumpf in der Tasche. Dass er Sothorn im Zweikampf unterlegen war, war offensichtlich. Es sei denn, es gab etwas, was seine Chancen ausgleichen
konnte.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren befand Sothorn sich in einer Situation, die er nicht einschätzen konnte. Ein Bewohner des Nordens mit den Augen eines Falken. Ein Wargssolja. Nie hatte er
gehört, dass ein Angehöriger dieses wilden, freiheitsliebenden Volks zum Assassinen wurde. Ihr Stamm war klein, aber ihre wortkargen Besuche in den Dörfern außerhalb ihrer
Wälder lieferte Stoff für die Geschichten der Barden. Und sie kamen nie allein.
Sothorn sprang rückwärts in die Deckung eines überlappenden Daches. Der Wargssolja folgte ihm langsam, bemerkte die Veränderung in seinem Gesicht und stutzte.
Meine Gelegenheit, raunte der langjährige Krieger in Sothorn.
Er fiel auf die Knie. Den linken Dolch hob er schützend vor sein Gesicht, mit dem anderen stach er zu. Er spürte, wie die Klinge traf, wusste aber nicht, an welcher Stelle sie ins
Fleisch ging.
Ein leiser Schmerzenslaut drang an sein Ohr, gefolgt vom Schlagen von Flügeln, die durch den Regen auf sie zukamen. Der Wargssolja wich zurück.
Sothorn wollte es zu Ende bringen, doch die Zeit lief ihm davon. Er saß in der Klemme. Nur wenige Augenblicke, dann würde er unterlegen sein. In einem gerechten Kampf war er bereit zu
sterben. Aber nicht, wenn man ihn zu zweit zu überwältigen suchte.
Noch zwei Mal ließ er die Klingen fliegen und fügte dem Fremden einen Schnitt am Unterarm zu. Sothorn trat nach den Beinen des Wargssolja, landete einen weiteren Treffer. Während
der Fremde sein Gleichgewicht suchte, schlug Sothorn nach ihm und traf ihn mit dem Knauf seiner Waffe am Kinn.
Sein Gegner taumelte. War fast geschlagen. Dann war das Rauschen der Flügel heran, und Sothorn musste fliehen.
Erst, als er einige Zeit später in einer abgelegenen Höhle unterhalb des Hafenbeckens zur Ruhe kam, merkte er, dass er verletzt war. Es handelte sich lediglich um Schürfwunden
und einen harmlosen Schnitt am Oberschenkel, aber dennoch. Der Wargssolja hatte ihn verletzt.
Sothorn wusste, wie er seine Verletzungen zu deuten hatte. Seine Körperbeherrschung ließ nach, er verlor an Geschicklichkeit. Er war tot. Er hatte nur das Atmen nicht eingestellt.
Er schauderte in seiner feuchten Kleidung, als er sich in der Gewissheit zusammenrollte, dass sein Gegner dort draußen war, ihm dank seines Begleiters überlegen war und auf ihn
wartete. Sie würden sich wiedersehen. Mit ungewissem Ausgang.
Vielleicht war das drückende Empfinden in seinen Eingeweiden Angst. Er wusste es nicht.
Der Tod kommt auf schwarzen Schwingen
„Du bist schon wieder
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