Zenjanischer Lotus (German Edition)
wann er akzeptiert hatte, dass es mit ihm zu Ende ging. Unter aller Taubheit, unter aller Gier nach der Droge fühlte es sich ... seltsam an. Falsch
Seine Finger schlossen sich um das Glas. Seinem Dienstherren gönnte er nicht mehr als ein Nicken, bevor er sich abwandte und in Richtung des Eingangsportals schritt. Er humpelte kaum. Im
Gehen öffnete er das Fläschchen und goss sich den Inhalt mit einem unterdrückten Stöhnen in den Mund. In der Art, mit welcher er sich sorgsam die Lippen ableckte und mit der
Hand über seinen sich wärmenden Bauch strich, lag etwas Sinnliches.
Seine Liebe zum Zenjanischen Lotus war bitter, aber es lag Trost in ihr.
Der süßliche Geschmack trieb ihn vorwärts und nahm ihm mit jedem Schritt einen Teil seiner Schmerzen. Sothorn labte sich an dem Gefühl der Erleichterung, fühlte sich
menschlicher denn je und gleichzeitig fern von allen Zweifeln und Sorgen. Jede Kerbe im Granitboden, jedes Astloch in der hohen Tür schob sich aufdringlich in sein Bewusstsein. Aus
Kleinigkeiten setzte sich ein schärferes Bild seiner Umgebung zusammen und erweckte den Eindruck, zuvor blind gewesen zu sein.
Im Hof wartete an der Hand eines Stalljungen ein grobknochiges Pferd auf ihn. Jedem anderen wäre das Tier dank seines kräftigen Hinterteils und breiten Halses unproportioniert
vorgekommen, doch Sothorn sah mehr, nahm jedes Detail wahr. Das Spiel der Muskeln unter dem glänzenden Fell war vielversprechend, und auch die Fesseln unter einem dichten Wust langer
Strähnen wirkten stark und geeignet für einen harten Ritt.
Der Rappe zeigte keinerlei Nervosität, als Sothorn ohne Vorwarnung die Zügel nahm und sich in den Sattel schwang. Unter seinem Verband platzte die Wunde auf, und Blut verteilte sich
heiß unter dem rauen Leder seiner Hose.
Willig folgte das Pferd seiner Führung, als es den Druck seiner Unterschenkel spürte. Die riesigen Hufe trommelten auf dem Kopfsteinpflaster, als sie das Rondell vor dem Anwesen hinter
sich ließen.
Nadis lag nur einen halben Tagesritt entfernt, ein winziges Fischerdorf in der Nähe eines Muschelriffs. Sothorn verzog das Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. Der Ritt war seine
Gnadenfrist.
Mit weit offenen Augen trabte er durch die vom Nebel geplagte Stadt. Er nahm den Weg an der Wehrmauer entlang, beobachtete das Treiben auf dem unteren Marktplatz und die verlorenen Seelen, die
vor den Tempeln um Almosen bettelten. Reiche Bewohner fanden sich nur wenige in den engen Gassen, dafür umso mehr Kinder in abgerissener Kleidung.
Einer Eingebung folgend machte er einen Umweg durch den Hafen, warf einen Blick auf die unruhige See und das Treiben am Pier. Tief atmete er ein. Es roch nach Fisch, Salz und Ewigkeit.
Sothorn verließ Balfere durch das Südtor. Kaum, dass er die gelangweilten Wachen passiert hatte, wendete er den Rappen und betrachtete seine Stadt.
Nachdenklich versank er in dem Anblick der wenigen Gebäude, die wie Ertrinkende über die Stadtmauer ragten. Die schlanke Silhouette des Gefängnisturms, das Dach des Zunfthauses
der Schneider, der Giebel mit dem Geweih unter dem Dachfirst, das zu der edelsten Taverne der Stadt gehörte.
Auf seine Weise verabschiedete Sothorn sich von dem vertrauten Anblick. Er spuckte ins Gras und lachte bitter auf, als er sich fragte, wie es enden würde. Wer würde ihn töten? Der
Wargssolja? Bevor Sothorn Kapitän Tolka umbrachte oder erst danach? Oder würde die Ehre Stolan von Meerenburg erhalten bleiben?
Sothorns Überlebenswille flammte auf. Sein Kämpferherz suchte nach Alternativen und Gerechtigkeit. Vor langer Zeit hatte er aufgegeben, mit dem Schicksal zu hadern, doch nun, da sein
Tod nah war, erwachte der Schläfer in ihm und protestierte. Das Leben schuldete ihm etwas. Es war nicht gerecht. Doch wenn ein Warg im Wald ein Kitz schlug, bevor es zum Hirsch heranwuchs,
klagte auch niemand das Schicksal an.
Es war der Lauf der Dinge. Unabänderlich, wechselhaft, und nein, niemals gerecht.
Sothorn kam der irrwitzige Gedanke, sich zu stellen. Zu warten, bis sich der andere Meuchelmörder auf seine Spur gesetzt hatte. Die Arme auszubreiten und den Zunftbruder zu bitten, ihm
ehrenvoll und schmerzlos ein Ende zu bereiten.
Man erzählte sich Geschichten über Assassinen, die diesen Weg beschritten hatten, als sie spürten, dass ihr Ende nahte. Alles in Sothorn sträubte sich gegen einen solchen
Tod. Er wollte nicht auf die leichte Weise gehen.
Zumindest nicht, bevor er nicht seinen letzten
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