Zenjanischer Lotus (German Edition)
verletzt.“
Desinteresse machte Stolan von Meerenburgs Stimme zahm.
Sothorn - oder viel mehr sein Körper - registrierte die drohende Gefahr, zwang ihn zu schlucken, obwohl sein stumpfer Geist nicht wusste, warum.
Er empfand wenig, als er breitbeinig in der geheizten Eingangshalle des Anwesens stand. Seine wunden Hände waren hinter dem Rücken verschränkt, sein Kopf hoch erhoben, sein Blick
auf die bleigrauen Quader der steinernen Wand gerichtet. Er widerstand dem Drang, seinem Herrn mit den Augen zu folgen, der ihn langsam umrundete.
Er hatte die Nacht in der Höhle unter dem Hafen verbracht. Die Anspannung des unausgeglichenen Kampfes, die Schmerzen des Entzugs, sein leerer Magen, der Wein in seinem Blut und die
Verletzungen hatten ihn auf dem harten Stein, der nach totem Fisch und Algen roch, einschlafen lassen.
Notdürftig hatte er die Schnittwunde am Bein mit Fetzen seines Hemds verbunden, nachdem er sie mit Salzwasser ausgespült hatte. Erst gegen Morgengrauen war er durch die Felsenbucht ins
Anwesen zurückgekehrt und hatte sich - jeden Gedanken an den anderen Assassinen beiseite drängend - auf seinem kargen Lager zusammengerollt.
Sothorn wollte nicht denken, sich keine Fragen stellen. Nicht dem sachten Ziehen in seinem Nacken nachgeben. Er wollte schlafen.
Stolan von Meerenburg hatte ihm keine Wahl gelassen und ihn zu sich befohlen. Umkreiste ihn wie ein Geier, und wieder spürte Sothorn ein furchtsames Echo in seinen Knochen.
Sein Geist hatte keine Angst, fürchtete sich nicht vor dem endlosen Vergessen und der Dunkelheit, die ihn nach Hause tragen würde. Sein Leib war anderer Meinung, wollte schlicht sein;
egal, wie wenig lebenswert Sothorns Existenz war und welchen Schmerzen er ausgeliefert war.
Das Tier in ihm trieb sein Herz an, furchtsam zu flattern und einen Muskel in seinem Unterarm zucken zu lassen. Der Mann hingegen interessierte sich nur für die Phiole, mit der sein Meister
nachdenklich spielte.
Etwas Endgültiges lag in Stolan von Meerenburgs Blick, als er sich Sothorn gegenüber aufrichtete. Etwas Endgültiges und vielleicht eine Spur vagen Bedauerns, das in
geschäftlichen Interessen und Gewohnheit begründet lag.
„Der alte Tolka lebt mittlerweile in Nadis. Er ist der Letzte, der etwas ausplaudern könnte. Finde und töte ihn.“
Sothorn nickte ruckartig und dachte an Danai und ihre sanften Worte, mit denen sie ihn unterschwellig bat, Gnade walten zu lassen. Und er dachte an den Zenjanischen Lotus, den Stolan ihm geben
würde, damit sein Auftrag nicht scheiterte.
Tolka war der Kapitän der
Falkenfeder
gewesen, bevor das Schiff vor einigen Jahren in einem Sturm nahe der Küste sank. Die Mannschaft hatte größtenteils
überlebt, was sich im Nachhinein als Nachteil für den Handelsherrn erwiesen hatte. Sie alle hüteten ein Geheimnis, das Stolan in Sicherheit wissen wollte.
Vor gut zehn Jahren war die Mannschaft der
Falkenfeder
schon einmal in Seenot geraten und bei der Gelegenheit auf ein Eiland weit entfernt von den üblichen Reiserouten
gestoßen. Durch einen Zufall hatten die Männer auf der Suche nach Wasservorräten und Wild ein Vorkommen eines fremdartigen Erzes entdeckt. In der Hoffnung, dass ein kostbarer Fund
ihren Herrn angesichts der Verspätung besänftigen würde, hatten sie Proben genommen und waren nach den notwendigsten Reparaturen am Schiff heimgekehrt.
Anfangs schien es, als wäre ihr Fund nicht von Bedeutung. Das bläuliche Erz ließ sich nicht gut bearbeiten, war starr und brauchte viel Feuer, um zu schmelzen. Doch als ein
findiger Schmied sich mit einem Alchemisten besprach, fanden sie einen Weg, das Erz mit gemeinem Stahl zu kreuzen und eine Legierung zu schaffen, die höchst stabile Schwerter und Dolche
hervorbrachte.
Diese Waffen und das Geheimnis ihrer Herkunft waren ein Vermögen wert. Stolan, der die Position der winzigen Insel nicht preisgeben wollte, hatte Sothorn nach und nach auf die ehemalige
Mannschaft angesetzt, damit sie niemandem verrieten, wo das wertvolle Erz zu finden war.
Es hatte Jahre gedauert, die in alle Winde verstreuten Männer und Frauen ausfindig zu machen. Mit Tolka war Sothorn am Ziel seiner Reise angelangt.
Schweigend streckte er die Hand nach der Phiole aus. Es war eine Ungehörigkeit, die er sich zu leisten können glaubte. Seine Tage als Assassine waren gezählt. Das Schlimmste, was
passieren konnte, war, dass Stolan ihm diesen letzten Augenblick des Glücks verweigerte.
Sothorn fragte sich im Stillen,
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